Montag 12.02.2024 – Traurige Schönheit
Mein heutiges Ziel war es, die hintere der drei Inseln, auf denen Saint-Louis liegt, zu erkunden. Bereits gestern hatte mir Hans offenbart, dass dort weniger von der einstigen kolonialen Pracht der Stadt übriggeblieben sei. Schnell wurde mir klar, was er meinte: Kaum hatte man die Brücke überquert, löste Sand den Teer auf den Straßen ab. Vor den Häusern hielten die Menschen ihre Ziegen, Hühner und Esel – nur weil man in der Stadt wohnt, heißt das ja nicht, dass man keine Nutztiere halten kann. Es schien als sei Waschtag: Überall auf den Straßen saßen junge Frauen und wuschen in großen Wasserkübeln ihre Wäsche. Lange Wäscheleinen mit bunter Kleidung waren quer durch die Straßen gespannt – ein erstklassiges Farbenspiel. Kurz nahm ich mir vor es den Frauen gleichzutun, ins Hostel zu gehen und die Blutflecken aus einer meiner Hosen auszuwaschen – doch so schnell dieser Gedanke kam, so schnell war er auch wieder verworfen. Zum Mittag kehrte ich zurück zum Hostel, gab ein paar Nachhilfestunden und tippte ein paar Zeilen für meinen Blog. Als die letzte Nachhilfestunde vorbei war, packte ich mein Handtuch ein und machte ich erneut auf den Weg auf die hintere Insel. Ganz in Norden, sollte es dort einen ruhigen unvermüllten Strand geben. Auf meinen Weg dorthin lief ich durch das Fischerviertel. Schrottreife Autos bretterten die Piste entlang, Fischer hausten in Blechhütten neben ihren Booten. Am Strand angekommen, fand ich doch mehr Müll vor als erhofft und guckte so nur außerhalb des Wassers dem Sonnenuntergang zu. Eine Gruppe Kinder spielte neben mir an einem Boot und hatte Freude daran mich immer wieder aufzufordern, sie zu fotografieren, und dann schreiend wegzulaufen. Grundsätzlich beeindruckte mich, wie freundlich und fröhlich all die in extremster Armut lebenden Menschen hier waren – davon könnte sich der ein oder andere Nörgler in Deutschland mal eine Scheibe abschneiden. Die goldenen Sonnenstrahlen tauchten die still am Ufer liegenden Boote auf dem Rückweg in ein romantisches Licht. Lediglich die Massen von Plastikmüll offenbarten, dass das Leben hier nicht so charmvoll war, wie es auf den Bildern aussah.
Dienstag 13.02.2024 – Schaarfff!
Die hintere Insel hatte mich gestern so sehr fasziniert, dass ich mir auch heute nach einer morgendlichen Nachhilfestunde meinen Weg in den unverblümten Teil Saint-Louis bahne. Entlang des Ufers laufe ich – diesmal in Richtung Süden – zum Fischmarkt und beobachte dort, wie der Fisch aus den Booten ausgeladen, zusammen mit Trockeneis in Plastikkisten gefüllt und schließlich in einen Lastwagen verladen wird. Überall joggen Leute hin und her, holen neues Eis oder Kisten. Die an- und abfahrenden LKWs hupen sich den Weg frei. Der feuchte geteerte Boden schimmert rötlich. In den Wellblechhütten, in denen die Fischer sich ausruhen und ihr Equipment lagern, liegen hier überall alte Kühlschränke auf dem Boden, die als Zwischenlager für den Fisch dienen. An einem kleinen Stand schält eine Frau die in der Region angebauten Erdnüsse und füllt diese in alte Glasflaschen – ich kaufe eine. Wie schon gestern erhoffe ich mir ganz im Süden der Insel etwas sauberen Strand zu finden, doch der an der gesamten Hauptstraße entlangführende Friedhof schneidet mir den Weg an die Atlantikküste ab. Am Ende stellt sich der Strand auch hier als nicht zum Schwimmen geeignet heraus und ich drehe wieder um. Direkt neben dem Hostel bietet eine Frau an einem Stand Essen an: Reis mit Fleisch und Soße. Sehr lecker! Lediglich meinen letzten Bissen Reis bereue ich: Schaarfff! Knapp zwei Stunden lang brennt in meinem Mund alles und ich merke mir für die Zukunft, dass ich die Peperoni-Schote als erstes vom restlichen Essen separiere. Grade als ich mich ein weiteres Mal auf den Weg in die Stadt machen möchte, erreicht mich gerüchteweise die Nachricht, dass die große Hauptbrücke zur Verhinderung von Protesten ab dicht gemacht werden solle. Der senegalesische Präsident hatte vor eineinhalb Wochen die anstehenden Präsidentschaftswahlen gecancelt und damit eine große Protestwelle ausgelöst. Die Brücke bleibt den ganzen Abend offen und auch sonst bleibt es, bis auf eine auffallend verstärkte Polizeipräsenz, ruhig. Dennoch halte ich mich den restlichen Tag über nur noch auf meiner Insel auf und sitze viel am Laptop im Hostel.
Mittwoch 14.02.2024 – Trinken wir ein Bier?
Nachdem ich in Mauretanien erlebt hatte, wie viele Dinge mobiles Internet einfacher macht, wollte ich mir für den Senegal wieder eine Sim-Karte besorgen. Bei dem entsprechenden Geschäft angekommen versuchte ein erster Mitarbeiter dreißig Minuten lang erfolglos meinen Pass auszulesen, um die Karte zu registrieren. Schlussendlich schickte er mich zu einem anderen Mitarbeiter, der die Karte irgendwie registriert bekam und mir dann erklärte ich müsse nun 10 Minuten waren bis die Registrierung abgeschlossen sei. Aus zehn Minuten wurden zwanzig und aus zwanzig Minuten eine halbe Stunde. Ich musste nun Nachhilfestunden geben und so machte ich mich mit einer Prepaid-Sim-Karte aber noch ohne Datenvolumen zurück auf den Weg zum Hostel. Nach den Nachhilfestunden startete ich dann einen zweiten Anlauf. Erst lud man 10000 Franc Guthaben auf meine Karte, dann kaufte ich mir für 2000 Franc (3,04€) 4GB Datenvolumen, und dann zahlte mir die restlichen 8000 Franc wieder aus. Etwas besseres Französisch hätte diesen Prozess sicherlich vereinfacht und beschleunigt, doch am Ende hatte ich zumindest bekommen, was ich wollte. Auf der anderen Seite der Brücke ging ich auf den Markt, gönnte mir eine ganze Honigmelone und genoss die Sonne, bevor ich wieder zurück ins Hostel ging um noch eine weitere Nachhilfestunde zu geben. Die Sonne war gerade untergegangen, da tauchte im Hostel ein neues deutschsprachiges Gesicht auf – ein Radfahrer, der ebenfalls auf dem Weg nach Kapstadt war. Der Radfahrer schien froh zu sein wieder auf deutschsprachige Gesellschaft zu stoßen und redete wie ein Wasserfall. Ich musste nicht lange warten, bis die wohl deutscheste Frage von allen kam: „Trinken wir ein Bier?“. Gemeinsam ließen wir uns einer Bar am Wasser nieder und tranken ein kühles „La Gazelle“ – der erste Tropfen Alkohol für dieses Jahr.
Donnerstag 15.02.2024 – Seemannsgarn
Um sechs klingelt mein Wecker. Laut meinen Informationen sollen die Sammeltaxis nach Dakar um sieben und fünfzehn Uhr fahren. Irgendetwas in mir überzeugt mich, dass es bestimmt mehr als zwei Busse täglich geben würde – Dakar ist immerhin die Hauptstadt – und ich noch ein paar Stunden im Bett liegen bleiben könnte. Um zehn stehe ich dann tatsächlich an der „Garage Dakar“ und bin erfreut, dass es sich bei den Sammeltaxis um moderne klimatisierte Kleinbusse und nicht um schrottreife Fünfsitzer handelt. An abfahrenden Bussen mangelt es nicht, und so komme ich unkompliziert und komfortabel für 6500 Franc (9,86€) nach Dakar. Als wir nach fünf Stunden Fahrt die Außenbezirke von Dakar erreichen wird der Verkehr dichter. Irgendwann stehen wir fast nur noch und abgesehen von mir steigen alle Passagiere irgendwo auf der Straße aus. Von dem Ort an dem mich der Bus absetzt sind es knappe 8km zu meinem Ziel – einem Seglerrestaurant auf dessen Parkplatz man auch campen dürfen soll. Nach fünf Kilometern Fußmarsch mit dem schweren Rucksack in der stechenden Sonne, gebe ich einem der im Minutentakt hupend an mir vorbeifahrenden Taxis nach. „Cinq-cent?“ – Ich halte dem Fahrer meine Navigation hin und er deutet mir an einzusteigen. Als ich dem Taxifahrer drei Kilometer später den 500 Franc Schein in die Hand drücke lacht er nur – er wolle 2000 Franc haben. Das wiederum sehe ich nicht ein – wir sind gerade einmal drei Kilometer gefahren und ich hatte meine Preisvorstellung beim Einsteigen klar kommuniziert. Als ich aussteige steigt auch der Taxifahrer aus und beginnt mich gewaltsam wieder in Richtung Taxi zu zerren. Zwei Locals sehen das, eilen mir zur Hilfe und klären den Konflikt. Der Restaurantparkplatz stellt sich als richtiger kleiner Campingplatz raus: Feste Preise, Duschen, Toiletten, schnelles WLAN, Outdoor-Tische. Am frühen Abend mache ich mich auf die Suche nach etwas Essbaren: Nichts! Kein Wunder, warum sollte sich denn auch jemand mit seinem Stand mitten ins Hafengebiet stellen? Nach einigem Suchen werde ich doch noch fündig und bekomme für 500 Franc (0,76€) einen Teller Fisch mit Couscous angeboten. Die senegalesische Preisgestaltung ist mir nach wie vor ein Rätsel. Preise schwanken je nach Ort und Situation mal gerne um das Zwei- bis Vierfache. So zahle ich 100 Meter weiter für vier Bananen 300 Franc mehr als für mein vollständiges Fischgericht.
Freitag 16.02.2024 – Tür ohne Wiederkehr
Weil in großen Teilen Deutschland Ferien sind, geht es für mich mit den Nachhilfestunden diese Woche oft schon am Vormittag los. Nach zwei morgendlichen Stunden Matheunterricht, mache ich mich dann zu Fuß auf den Weg in Richtung Fährhafen. Von hier sollen Fähren auf die „Île de Goree“ fahren, welche im kolonialen Sklavenhandel eine wesentliche Rolle gespielt hatte. Am Fährterminal ankommen stelle ich fest, dass ich den Fahrplan doch besser hätte lesen sollen – die nächste Fähre fährt kommt erst in eineinhalb Stunden. Umso länger bleibt mir Zeit das Preisschild zu betrachten: Während Inselbewohner 500 Franc (0,76€) zahlen, zahlen alle restlichen Senegalesen das Dreifache. Als nicht senegalesischer Afrikaner zahlt man bereits 2700 Franc (4,12€) und als nicht-Afrikaner ganze 5200 Franc (7,94€) – mehr als das zehnfache der Inselbewohner. „Unfair!“ ist mein erster Gedanke, doch je länger ich darüber nachdenke, desto sinnvoller finde ich das Ganze: Lukrativer Tourismus, ohne die dabei die Einheimischen zu belasten. Auf der Insel erwartet mich die „Maison des Esclaves“. Bekannt für ihre auf den offenen Atlantik blickende „Tür ohne Wiederkehr“, geht man heute davon aus, dass das Handelszentrum im transatlantischen Sklavenhandel eine deutlich unwesentlichere Rolle gespielt hat als anfänglich angenommen. Dennoch erschrecken die Zahlen die man hier hört: Bis zu 15 Millionen Afrikaner könnten allein von diesem Ort aus als Sklaven nach Amerika „exportiert“ worden sein. Abseits der hübsch gemachten Touristenwege sieht man auf der Insel unzählige bröckelnde Kolonialbauten. Während die einen dem Zerfall gewidmet sind, dienen andere zumindest noch der Tierhaltung. Am Abend sitze ich mit einem Niederländischen Overlander, der mit seinem Geländewagen neben meinen Zelt steht, bei einem „La Gazelle“ zusammen. „Eigentlich krass, obwohl die Europäer Afrika so viel Leid zugefügt haben, wird man hier noch immer hoch angesehen. Wäre das andersherum passiert würden wir die Afrikaner hassen und verfluchen.“
Samstag 17.02.2024 – Die höchste Statue Afrikas
Der Tagesplan für heute besteht aus Sightseeing – Ich möchte mir das African Renaissance Monument und die Moque of Divinity, die beiden bekanntesten Sehenswürdigkeiten Dakars, angucken. Gute Nachricht: Die beiden Sehenswürdigkeiten liegen gerade einmal einen knappen Kilometer auseinander. Schlechte Nachricht: Die beiden Sehenswürdigkeiten liegen knappe zehn Kilometer entfernt auf der anderen Seite Dakars. Zu Fuß mache ich mich also auf den Weg – einmal quer durch Dakar. Es gibt kaum eine bessere Möglichkeit eine Stadt zu entdecken. Google Maps führt mich schonungslos die kürzeste Route entlang – unabhängig davon durch welche Art von Vierteln diese führt. So stehe ich irgendwann auf einem Trümmerfeld, zwischen Hausruinen, Bauschutt und Autowracks. Man könnte meinen hier sei eine Bombe eingeschlagen, doch eher gehe ich davon aus, dass die direkt daneben liegende Landebahn des Flughafens Grund dafür ist, das das Viertel einen Kopf kürzer gemacht wurde. Bei knappen 38 Grad strahlt die Sonne ohne Rücksicht auf Verluste, während ich feststelle, dass ich mich heute weder eingecremt, noch meine Basecap eingepackt habe – das gibt einen großzügigen Sonnenbrand! Endlich erscheint die gesuchte Statur am Horizont. Mit gerade einmal 52 Metern Höhe ist das erst 2010 fertiggestellte Bronzekonstrukt, das als Symbol für die Unabhängigkeit Afrikas steht, die höchste Statue Afrikas. Interessant ist auch, dass die Statue nicht nur von einem nordkoreanischen Unternehmen gebaut wurde, sondern dieses auch gleich die Baukosten von etwa 27 Millionen US-Dollar mit übernahm – soviel zum Thema Unabhängigkeit. Entlang der Steilküste geht es weiter zur Mosque of Diversity, die mit ihrem modernen Baustil und der Lage direkt am Meer ein wunderschönes Fotomotiv bildet. Anders als neben meinem Zeltplatz im Hafenbereich, ist das Meer ist hier sauber und lädt zum schwimmen ein. Kaum bin ich wieder zurück beim Segelrestaurant, so lädt mich ein junger Segler auf ein Bier ein. Wir unterhalten uns – oder besser gesagt: Er erzählt etwas. Verstehen tue ich – ich weiß nicht, ob das an dem neben uns laufenden Ventilator, seinem Alkoholpegel, oder seinem Englisch liegt – kaum etwas. Es ist schon ein bisschen überraschend wie lange man – nur durch nicken, „ja“, „genau“ und „klar“ sagen – eine „Konversation“ haben kann, von der man in Nachhinein nicht einmal weiß um was sie ging. Am Abend genieße ich Worship-Musik hörend auf einem kleinen Holzsteg und genieße das goldige Licht der untergehenden Sonne, bevor ich mich dann in meinem Zelt vor den nun herauskommenden Mücken verstecke.
Sonntag 18.01.2024 – Umzug an den Strand
Heute stehe ich mal wieder früh auf: Zum Sonnenaufgang klettere ich auf den rustikalen Holzsteg und warte dort bis sich die Sonne hinter den Masten der Segelboote erhebt. Der Bäcker, bei dem ich mir die letzten Tage mein Brot geholt habe, macht so früh am morgen allerdings noch nicht auf und so bleibt mir noch Zeit mich wieder in mein Zelt zurückzuziehen und dort den Gottesdienst des ICFs in Hamburg zu streamen. Nach dem Frühstück packe ich dann meine Sachen zusammen. Der Platz hier ist nett & günstig, doch ich bräuchte – zumindest für ein paar Tage – etwas zentraleres. Gemeinsam mit einem älteren deutschen Segler, der hier gefangen ist, weil sein Boot keine senegalesische Zulassung bekommt, teile ich mir ein Taxi auf die andere Seite Dakars. Dort gibt es nicht nur schönen – zum Baden geeigneten – Strand, sondern auch Massen an kleinen Geschäften und Fressbuden. Keine 50 Meter vom Strand entfernt findet sich ein großer bewachter Parkplatz auf dem ich – nach einer knappen halben Stunde Verhandlung und Erläuterung per Übersetzter – tatsächlich mein Zelt in einer Ecke aufschlagen darf. Schnell die Badehose an, und schon geht es ins kühle Nass. Am Nachmittag niste ich mich in einer Tacos-Bar mit gutem WLAN ein, gebe erst zwei Nachhilfestunden und telefoniere dann mit meiner Familie. Die hat sich gerade aus Tiefkühlerdbeeren Erdbeersaft gemacht und so kann ich nicht anders als in einer Bar an der Strand auch noch einen frischen Saft zu trinken, bevor ich mich in meinem Zelt verkrieche. Nach einigen Minuten beschleicht mich das leise Gefühl das Mücken es in mein Zelt geschafft haben. Im Taschenlampenlicht beginne ich also die Jagd. Nachdem ich sechs der blutrünstigen Viecher -die hier außerdem auch Malaria übertragen können – erschlagen habe, verbleiben noch zwei. Als auch diese tot am Boden liegen und ich endlich Schlafen könnte, springt mit ohrenbetäubendem Lärm direkt neben meinem Zelt der Dieselgenerator des danebenstehenden Hotels an. Nach zehn Minuten ist wieder Ruhe – hoffen wir, dass heute keiner mehr das Badezimmerlicht braucht und das Ding aus bleibt …
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