Montag 09.10.2023 – Dein Einkauf in 10 Minuten geliefert
Nachdem ich ausgeschlafen hatte setzte ich mich an meinen Laptop. In den letzten Tagen hatte ich immer wieder an den Blogeinträgen der ersten Woche geschrieben, nun checkte ich diese ein letztes Mal, fügte passende Bilder hinzu und klickte dann endlich auf „Veröffentlichen“. Danach verzog ich mich wieder in mein Bett, guckte ein paar YouTube Videos und las ein bisschen in einem Buch – mir war langweilig. Meine erste Arbeitsschicht als Fahrradkurier sollte erst um 17.00 Uhr beginnen und abgesehen davon hatte ich nichts zu tun. Das Meiste von Amsterdam – so zumindest mein Gefühl – hatte ich bereits gesehen. Da ich nicht ganzen Tag im Bett verbringen wollte, entschloss ich mich dann doch eine Runde durch die Innenstadt zu drehen. Igor lieh mir seine OV-Karte, mit welcher ich unter der Woche umsonst mit der Straßenbahn fahren konnte – so sparte ich mir ein paar Schritte. In der Stadt fielen mir vor allem die vielen „Stuff needed“ Schilder auf, aber ich hatte jetzt ja einen Job. Am späten Nachmittag machte ich mich dann endlich zu meiner ersten Arbeitsschicht auf. Nach einer kurzen Einführung in die Mitarbeiter-Apps des Online Supermarktes ging es dann schon aufs Fahrrad. Meine heutige Aufgabe wäre erstmal nur einem anderen Kurier hinterherzufahren und ihm über die Schulter zu schauen. Nach drei Stunden war meine Schicht vorbei und ich mich gut gewappnet. Der Job wirkte einfach, nicht besonders schön aber auch nicht so schlimm, wie in manchen Medien dargestellt. Ich fragte also direkt weitere Schichten in der Woche an.
Dienstag 10.10.2023 – Nett hier. Aber waren Sie schonmal in Baden-Württemberg?
Inzwischen hatte ich eine Rückmeldung zu meinem Bewerbungsvideo für die Online Nachhilfeagentur bekommen „Du hast uns überzeugt“. Ich verbrachte den Morgen also mit dem Versuch mich im Nachhilfe Programm zu registrieren. Doch die Website produzierte eine Fehlermeldung. Och nee. Auch der Kurierdienst hatte sich gemeldet. Der Schichtplan würde nur wöchentlich aktualisiert – ich müsste mit meiner nächsten Schicht bis zur nächsten Woche warten. Meine Nerven waren am Ende – Ich ging kurz raus um mich neu zu besinnen. Kurzerhand beschloss ich den Laptop zuzuklappen und mich auf den Weg in einen mir noch unbekannten Teil Amsterdams zu machen – ein altes Werfgelände, aus welchem im Laufe der Zeit ein Künstler & Wohnviertel entstanden war. Ich war beeindruckt. An der Außenwand des Streetart-Museums klaffte ein riesiges Graffitikunstwerk, welches Anne Frank darstellte. Generell sorgte der industrielle Vibe in Kombination mit den vielen Graffitis und dem schönen Wetter für eine wunderbare Kulisse. An einer Wand voller Aufklebern musste ich nicht lange suchen bis ich fand, was ich gesucht hatte „Nett hier. Aber waren Sie schonmal in Baden-Württemberg“. Es gab einfach keinen Ort, an dem dieser Sticker nicht klebte. Von der Fähre aus hatte ich in dem kleinen Hafen der Werft ein U-Boot gesehen – das musste ich mir näher angucken. Also lief ich die Pier entlang und traf neben dem „Yellow Submarine“ auch auf zwei arbeitende Männer, die meinten ich könne ihnen auch helfen, anstatt Löcher in die Luft zu gucken. Trotz eines Biers als Gegenleistung lehnte ich ab und machte mich auf den Rückweg. Als ich von der Fähre in die Straßenbahn stieg, tastete ich in meiner Hosentasche nach Igors OV-Karte – nichts. Fuck! Ich hatte die Karte verloren. Ich überlegte kurz, malte mir sämtliche Horrorszenarien aus und beschloss dann umzudrehen und zu suchen. Wenn ich eines hatte, dann doch Zeit. Ein kurzes Stoßgebet auf der Fähre. Ich lief meinen gesamten Weg nochmal ab. An der Pier, wo ich die beiden Männer gesehen hatte lag sie dann. Puhh! Noch einmal Glück gehabt. Zurück zuhause, rief ich meine Mutter an und richtete gemeinsam mit ihr meine E-Ausweis Funktion ein – ich brauchte ein Führungszeugnis und die Unterlagen dafür lagen zuhause – bevor Igor und Ich zum Abendessen zu seiner Mutter gingen.
Mittwoch 11.10.2023 – Wenn du willst, kannst du gleich loslegen
Am gestrigen Abend hatte ich herausgefunden, dass der Eintritt in das Amsterdamer Rijksmuseum für 18-jährige frei war und mir daraufhin direkt ein Ticket gebucht. 11.30 Uhr – Eigentlich nicht sonderlich früh, doch Dank meines neuen Schlafrhythmus, schaffte ich es nur gerade so rechtzeigt an den Einlass. Wirklich kunstinteressiert bin ich nicht, doch einem geschenkten Gaul schaut man ja bekanntlich nicht ins Maul. Nach zwei Stunden war ich an allen Ausstellungsstücken einmal vorbeigelaufen und hatte mir die scheinbar Wesentlichen, wie das Selbstporträt von Van Gogh und „Die Nachtwache“ genauer angeschaut. Mein Plan war nun noch einmal dorthin zu fahren, wo ich gestern bereits zweimal gewesen war – an den Hafen des Werftgeländes. Mich hatte das Angebot der beiden Arbeiter nicht ruhig gelassen. War es nicht eigentlich genau das was ich wollte? Unkomplizierte Arbeit? Ohne Vertrag und ewig dauernde Schichtpläne? Nur halt für Geld anstelle von Bier als Bezahlung? Auf dem Boot auf dem ich die beiden gesehen hatte herrschte nun Stille. Ich fragte ein paar Boote weiter. Man schickte mich zum Büro. Na Super! Scheinbar ging auch hier nichts ohne das Management. Ich wollte kurz aufgeben, entschloss mich dann aber doch zu Fragen. Auf meine Frage hin hieß es: Auf den Booten der Werft könne ich nicht arbeiten, aber ich solle mal beim letzten Boot an der Pier fragen – die würden gerade einen kleineren Refit machen. Gesagt, getan. Der Kapitän der „Regina Maris“ war auf Anhieb begeistert. Bis das Boot Ende nächste Woche ablegen würde, gäbe es genug zu tun. Wenn ich wollte, könnte ich sogar dort schlafen. Und es wurde noch besser: Die gesamte Crew sprach Deutsch. Keine zehn Minuten später stand ich ausgestattet mit Schutzbrille und Handschuhen auf dem Steg und schliff den Mastbaum des Dreimasters ab – die alte Farbe musste runter, damit Neue drauf konnte. Den ganzen Nachmittag arbeitete ich und blieb am Abend auch noch zum Essen. Ich fühlte mich hier wirklich willkommen. Erst gegen neun war ich zuhause und fiel müde in mein Bett. Morgen könnte ich nicht ausschlafen – Man erwartete mich um 08.30 Uhr an Deck.
Donnerstag 12.10.2023 – Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung
Um sieben Uhr klingelte der Wecker. Ich stand auf, duschte, aß etwas und lief zur Straßenbahn. Dreißig Minuten später erreichte diese den Hauptbahnhof, wo ich auf eine Fähre umstieg mit welcher ich dann 15 Minuten später das Hafengelände erreichte. Auf dem Weg zum Schiff kam mir schon Martin, der Kapitän, mit einer Kaffeetasse in der Hand entgegen. Abgesehen von Martin herrschte auf dem Schiff noch gähnende Leere. Es dauerte eine halbe Stunde bis auch die restliche Crew im „Arbeitsmodus“ war. Gemeinsam mit Luca, einem griechischen Matrosen, der etwa zwei Jahre älter als ich war, begann ich die Farbtöpfe mit welchen in den letzten Tagen das Schiff gestrichen wurde zurück ins „Farblager“, einzusortieren. Das unglaubliche Chaos das auf dem Deck herrschte lichtete sich nur langsam. Viele Dinge verschwanden zum Einlagern in einem Anhänger. Ich befestigte eine Lichterkette, die zwischen dem Chaos auftauchte. Dann schlug das Wetter um: Aus grauem Himmel mit Regenwolken wurde grauer Himmel mit Regen. Im Maschinenraum war es trocken. Der vier Tonnen schwere riesige Motor war für Wartungsarbeiten nach oben gezogen worden. Nun musste er wieder zurück auf seine Stützen – ein Kraftakt. Alles was man anfasst ist überzogen von einem Film aus Öl und Schmutz. Die Luft ist stickig. Umso dankbarer war ich, als mich Uschi, Martins Frau, bat ihr unter Deck dabei zu helfen die Kabinen zu putzen. Noch immer regnete es. Da die Auswahl an Tätigkeiten dadurch enorm eingeschränkt war, machten wir relativ früh Feierabend. Auf dem Weg nach Hause sah ich, dass der Fahrradkurierdienst nun seinen Schichtplan für die nächste Woche veröffentlicht hatte und ich, obwohl ich meine Verfügbarkeiten wieder gelöscht hatte – ich hatte jetzt ja einen Job-, für fünf Schichten eingeteilt worden war. Die Schichten lagen alle am Abend beziehungsweise in der Nacht, wenn ich wollte könnte ich diese also zusätzlich zu der Arbeit auf dem Schiff machen. Aber wollte ich das? Nach neun Stunden Arbeit noch sechs Stunden lang Einkäufe durch die Stadt kutschieren? Nach einer kurzen Findungsphase entscheid ich mich dafür – die Vorstellung so vielleicht erst im Dezember wieder Arbeiten zu müssen reizte mich. Den Abend verbrachten Igor und Ich damit zu kochen: Risotto mit Brokkoli und Bratwürstchen – das gab der Kühlschrank noch her.
Freitag 13.10.2023 – Der Himmel voller Farben bis zum Horizont
Pünktlich – fünf Minuten vor der Zeit – betrat ich das Schiff. Schon wieder – oder noch immer? – regnete es. Im Tagesraum blickte ich in ein neues Gesicht: Ramona, die Tochter von Uschi und Martin, war fürs Wochenende aus Hamburg gekommen um ihre Eltern zu unterstützen. Im Gegensatz zu allen anderen war sie noch hochmotiviert, doch erstmal gab es Frühstück. Dann verließen im Minutentakt Kisten das Schiff: „In den Anhänger“ „Ins Auto“ „zum Müll“. Inzwischen sah das Deck schon einigermaßen überschaubar aus. Endlich konnte die Plane, die das Deck in den letzten Wochen vor den Malarbeiten geschützt hatte entfernt werden und das Holz kam zum Vorschein. Dann gab es Mittag – Die Reste unseres chinesischen Abendessens von Mittwoch. Nach dem Mittag ging es drinnen weiter. Die Bettwäsche müsste in Zukunft selber mitgebracht werden, die die zum Schiff gehörte würde erstmal eingelagert. Eine Decke nach der anderen packte ich in die großen Plastiktüten, und saugte dann die Luft aus diesen heraus. Schon faszinierend wie viel Volumen das spart. Irgendwann waren die Vakuumbeutel leer – Ramona und Uschi fuhren los – Neue besorgen. Nach einiger Zeit kam dann ein Anruf: Sie hätten keine Vakuumbeutel bekommen, ich könne schonmal nach Hause. Am Abend waren Igor und Ich bei seiner Mutter zum Essen eingeladen. Als wir uns auf den Weg dorthin machten ging gerade die Sonne unter. Der gesamte Himmel leuchtet bunt und spiegelte sich in dem Kanal – Ein fantastischer Anblick.
Samstag 14.10.2023 – Die Stadt die niemals schläft
Ramona hatte mir gestern angeboten eine Stunde später zu kommen – dann wären auch alle schon fertig. Ich genoss es heute also erst eine später vom dem nervtötenden Geräusch meines Weckers aus dem Schlaf gerissen zu werden. Auf dem Schiff lagen bereits neue Vakuumbeutel bereit und so konnte ich direkt da anfangen, wo ich gestern aufgehört hatte – Kissen einvakuumieren. Bevor ich mich daran machte das Bierlager – das Schiff besaß eine eigene Zapfanlange – leerzuräumen, gab es aber erstmal ein zweites Frühstück. Nach dem Mittag hatte der Regen endlich aufgehört, so dass wir das letzte Stück des Mastbaumens abschleifen konnten und dann damit begannen diesen zu lackieren. Immer wieder schnappte sich Ramona dabei mein Handy und filmte mich bei der Arbeit. „Du musst Content produzieren. Das ist wichtig.“ Noch einmal abwaschen und dann war auch dieser Arbeitstag geschafft. Es war Samstag und, da ich am nächsten Samstag eine Nachtschicht als Fahrradkurier hatte, die letzte Möglichkeit für mich das Nachtleben Amsterdams in voller Blüte zu sehen. Nachdem ich also meinen Feierabend ganz entspannt YouTube guckend im Bett zelebriert hatte, machte ich mich um zehn noch einmal auf den Weg in die Innenstadt und beäugte das berühmt berüchtigte Nachtleben der Stadt.
Sonntag 12.10.2023 – Sunday is Church Day
„Sunday is Church Day“ postet das ICF Hamburg jeden Sonntag in ihrer Instagram Story – diesem Leitsatz wollte ich heute endlich einmal wieder folgen. Da die OV-Karte am Wochenende nicht funktionierte, hatte Igor mir sein Fahrrad, welches er Sonntags nicht brauchte, geliehen. Mit diesem machte ich mich dann auf zum „Circa Amsterdam“ – einem runden Eventgebäude in einem der Außenbezirke. Hier feierte die Hillsong Church jeden Sonntag ihre Gottesdienste. Kaum war ich da, ging es auch schon los. Da Hillsong zumindest als christliches Musiklabel auch in Deutschland verbreitet ist, kannte ich die meisten Songs und auch das moderne Ambiente der Kirche gefiel mir. Vollkommen glücklich fuhr ich nach dem Gottesdienst wieder zum Hafen und begann mit der Arbeit. Inzwischen gab es für mich immer weniger zu tun. Die meisten Punkte hatten wir in den letzten Tagen bereits von der To-Do-Liste streichen können. Und auch die ersten Teile der neuen Crew waren bereits angereist. Und so verließ ich den Dreimaster am Sonntag Abend zum letzten Mal – früher als erhofft. So kurz ich nur da gewesen war, so sehr hatte ich all die Menschen dort auch in mein Herz geschlossen. Als ich zum Abschied winkend über die Gangway lief, hatte ich neben meinem Gehalt auch noch einen Crew-Hoodie erhalten – eine schöne Erinnerung. In meiner Reisekasse waren nun knappe 400€ und ich war froh, dass ich die nächtlichen Kurierschichten in der kommenden Woche nicht abgesagt hatte. Denn mein Ziel lautete inzwischen: In Amsterdam soviel Geld verdienen wie möglich, um dann – wenn irgendwie möglich – bis Ende November mit dem Geld auszukommen. Am Abend telefonierte ich noch mit meinen Eltern, bevor ich – nachdem ich den Wecker für morgen ausgeschaltet hatte – ins Bett ging.
Moin Felix, du scheinst angekommen zu sein. Zumindest macht es für mich den Eindruck.
Weiterhin viel Spaß und viel Erfolg beim arbeiten…
Gruß Heiko