Dienstag 14.10.2025
Den Vormittag über sitze ich erneut auf einem Sofa im Aufenthaltsraum des Hostels an meinen Laptop. Ich hatte mich entschieden noch einmal eine Handvoll Probestunden zu geben, um noch ein oder zwei Schüler mehr dazuzubekommen. Fünf Minuten vor Beginn der letzten Einheit kommt ein Schweizer Pärchen in den Raum. Ich gucke die junge Frau eine knappe Minute lang ungläubig an, sie guckt genauso ungläubig zurück, dann fallen wir uns in die Arme. Es war Lea, mit der ich gemeinsam von Grenada nach Trinidad & Tobago gesegelt war – was für ein Zufall, dass wir uns hier wiedertrafen! Wie klein die Welt doch ist. In den verbleibenden Minuten bis zu meiner Stunde tauschen wir in Kurzform aus, was wir die letzten Monate erlebt hatten: Gemeinsam mit Stefan – mit dem plante ich mich in wenigen Wochen in Cusco zu treffen – war Lea auf einem Containerschiff nach Guyana getrampt. Von dort war sie mit Booten über den Amazonas nach Peru gelangt, wo sie knapp drei Monate verbracht hatte. Und nun reiste sie schon seit mehr als einem Monat durch Bolivien. Als ich eine Stunde später meinen Laptop endgültig zuklappe, komme ich mit Leon, einem deutschen Auslandsstudenten, der hier für eine Woche Urlaub, machte ins Gespräch. Wir verstehen uns super und beschließen schließlich gemeinsam zu Mittag essen zu gehen. Den ganzen Nachmittag sitzen wir anschließend gemeinsam in dem Aufenthaltsraum und unterhalten uns, bevor wir uns am Abend zu Lea und ihrem Freund gesellen und Karten spielen.
Mittwoch 15.10.2025
Erneut verbringe ich den Vormittag größtenteils hinterm Laptop, gebe eine Nachhilfestunde und wohne etwas später digital der zuhause stattfindenden Männerzeit bei. Von den drei Probestunden, die ich gestern gegeben hatte, waren alle erfolgreich gewesen. Einer der Schüler schloss sogar einen Vertrag mit drei wöchentlichen Stunden ab – damit hatte ich nun fast mehr Nachhilfeschüler als es mir lieb war! Am Nachmittag wollen Leon und ich gemeinsam das Seilbahnnetz weiter erkunden. In einer Bäckerei versorgen wir uns mit ein paar Empanadas und fahren dann von der dem Hostel am nächsten gelegene Station zum Hochplateau. Dort stoppen wir an ein paar verschiedenen Stationen und fahren dann über das Stadtzentrum auf die andere Seite der Stadt. Als wir an unserer Endstation aussteigen, landen wir mitten in einer Wahlkampfveranstaltung für die am Sonntag stattfindenden Präsidentschaftswahlen. Die gesamten Straßen rund um die Seilbahnstation sind voll mit begeisterten Anhängern, die zu der Veranstaltung ziehen, es fliegt Pyrotechnik durch die Luft. Zu Fuß laufen wir durch den Trubel zum „Mirador Killi Killi“, einem auf einem Hügel gelegenen Aussichtspunkt, der ein 360°-Panorama über der Stadt bietet und genießen dort den Sonnenuntergang.
Donnerstag 16.10.2025
Im Hinblick auf die am Sonntag stattfindenden Präsidentschaftswahlen, wollte ich La Paz spätestens am Samstag verlassen. Das meiste der Stadt hatte ich bereits gesehen, nur noch ein Punkt war offen: Mit einem Mountainbike die „Death Road“ hinunterfahren. In den Bergen der Anden, ein paar Stunden Fahrt von La Paz entfernt, befindet sich eine 64 Kilometer lange Schotterstraße, die in engen Kurven an oftmals nahezu senkrechten Abhängen entlangführt. Nachdem die Straße jedes Jahr unzählige Todesopfer forderte, wurde sie für den Auto-Verkehr geschlossen und lässt sich heute nur noch mit dem Fahrrad befahren – eine der Top-Aktivitäten in La Paz! Ich schlendere also durch die verschiedenen Tour-Agenturen, vergleiche deren Angebote und buche schließlich eine Tour für den morgigen Tag. Den restlichen Tag über tippe ich fleißig an meinem Blog, um diesmal wieder rechtzeitig online stellen zu können.
Freitag 17.10.2025
Um halb acht stehe ich im Büro der Tour-Agentur und probiere testweise einmal meine Ausrüstung an, dann steige ich mit einer Handvoll anderen jungen Leuten in einem kleinen weißen Mini-Van, auf dessen Dach Fahrräder befestigt sind. Nach knappen zwei Stunden Fahrt haben wir den städtischen Trubel hinter uns gelassen und stehen auf einer kleinen geteerten Bergstraße inmitten der Anden. Die Fahrräder werden abgeladen und wir machen uns während wir die sichere geteerte Straße einige Dutzend Kilometer hinabdüsen mit den Fahrrädern vertraut. Eine weitere halbe Stunde Autofahrt später stehen wir dann auf einem kleinen Parkplatz am oberen Ende der Death Road. Es beginnt zu Schütten. Im strömenden Regen fahren wir Stück für Stück die steile Buckelpiste hinab – der Adrenalinpegel schießt in die Höhe. Bei der Buchung hatte man zwischen einem Fahrrad mit einfacher oder doppelter Federung auswählen können – ich hatte selbstverständlich die günstigste Option genommen und bezahlte das nun damit, dass ich ordentlich durchgeschüttelt wurde. Mit teils über 50 km/h düsen wir die schmale Schotterstraße hinab, die Arme vibrieren, der Abgrund ist immer unmittelbar neben einem – nicht rechtzeitig zu bremsen oder eine Kurve nicht zu bekommen, hätte fatale Folgen! Nicht ohne Grund hatten wir vor der Tour einen Haftungsausschluss unterzeichnen müssen. Der Regen hält an, dazu kommt Wasser aus einigen Wasserfällen, die sich auf die Straße ergießen – schon bald gibt es an meinem Körper keine trockene Stelle mehr. Nach etwa zweieinhalb Stunden erreichen wir schließlich das Ende der Straße. Ich verschwitzt, komplett eingesaut und nass und doch hatte ich unglaublichen Spaß. Nachdem die Fahrräder gereinigt sind, halten wir für ein spätes Mittagessen an einem Restaurant und machen uns anschließend auf den Rückweg. Es ist kurz vor neun, als wir die Außenbezirke von La Paz erreichen. Der Verkehr stockt; die Straße hat sich durch den strömenden Regen in einen reißenden Fluss verwandelt. Irgendwann geht es gar nicht mehr vorwärts. Als wir auch eine Stunde später noch nicht näher am Stadtzentrum sind, beschließen ich und einige andere zu laufen – komplett durchnässt waren wir ja so oder so schon! Durch das kalte Regenwasser waten wir an dem Stau vorbei und nehmen, als der Verkehr weiter im Zentrum irgendwann wieder weniger wird, dann ein Taxi, um uns zu unseren Hostels bringen zu lassen.
Samstag 18.10.2025
In aller Frühe klingelt der Wecker und ich mache mich durch die noch leeren Straßen La Paz‘s auf den Weg zum Busbahnhof. Knappe vier Stunden dauert die Fahrt nach Copacabana, einem kleinen Küstenort am bolivianischen Ufer des Titicacasees unweit der Grenze zu Peru. Dort angekommen checke ich in ein kleines Hostel ein und lasse mich erschöpft auf mein Bett fallen, von dem aus man einen direkten Blick auf die blauen Weiten des Sees hat. Der Titicacasee ist das größte Binnengewässer Südamerikas und zugleich, auf 3812 Metern über dem Meeresspiegel gelegen, der höchste schiffbare See weltweit. Nachdem ich mich ein wenig erholt habe – die Nacht war kurz und der gestrige Tag anstrengend –, erkunde ich den kleinen Ort und seine Promenade. Gegen Abend laufe ich auf den am Rande der Stadt gelegenen „Cerro el Calvario“, von welchem man einen fantastischen Blick über die Stadt, die Bucht und die vielen kleinen Boote hat. Theoretisch soll man von hier auch einen schönen Sonnenuntergang sehen können – vorausgesetzt es sind keine Wolken am Horizont.
Sonntag 19.10.2025
In einer Stichwahl würde heute der neue Präsident Boliviens entschieden werden – das öffentliche Leben war infolgedessen vollständig heruntergefahren. Die Verkehrsmittel im gesamten Land standen still. Um die erwarteten, voraussichtlich gewaltvollen, Proteste zu erschweren hatte selbst die Seilbahn in La Paz ihren Betrieb eingestellt, Ladenbesitzer verbarrikadierten die Schaufenster ihrer Geschäfte. Für Bolivien sind die Wahlen enorm wichtig: Das Land steckt in einer schweren Wirtschaftskrise, die Erwartungen an die zukünftige politische Führung sind hoch. Ich war bereits gestern nach Copacabana geflohen – in einem so kleinen Ort dürften sich die Auswirkungen in Grenzen halten! Doch auch die touristischen Boote zur als Wiege der Inka-Kultur geltenden „Isla de Sol“, die nicht weit von Copacabana entfernt im Titicacasee liegt, stehen heute still. Ich nutze den eher ruhigen Tag also, um ein wenig zu planen, suche Wanderrouten für Peru raus und überlege, wie ich die nächsten Wochen gestalte. Nachdem ich am Nachmittag mit meiner Familie telefoniert habe, gehe ich gemeinsam mit einem Niederländer, mit dem ich mir das Drei-Bett-Zimmer teile in Titicacasee schwimmen – naja, bei nur etwa 11 °C Wassertemperatur wird es nicht viel mehr als ein kurzes Reinspringen und den Kopf untertauchen.











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