Montag 10.03.2025 – Doldrums
Im Laufe des Vormittags nimmt der Passatwind, welcher uns die letzten Tage stetigen Vorschub verschafft hatte, langsam, aber sicher ab. Rund um den Äquator befinden sich die „Doldrums“ – eine Zone, in welcher es nahezu windstill ist. Für die letzten etwas über 100 Seemeilen bis nach „Fernando de Noronha“, bliebe der Wind allerdings – zumindest der Vorhersage aus – noch nicht ganz aus – so beginnt die Diskussion: Weitersegeln oder auf unsere Motoren setzen? „Ist es nicht die Kunst des Segels auch bei schwierigen oder ungünstigen Windbedingungen nicht immer direkt den Motor einzuschalten?“ frage ich Ilya, der in den letzten Wochen immer wieder betont hatte, dass das Segeln eine Kunst und keine Wissenschaft sei, vor allem aus finanziellen Beweggründen – denn jede Stunde, die unser Motor läuft, kostet. Überzeugen kann ich meinen Captain aber auch damit nicht. Am frühen Nachmittag holen wir die Segel ein, gehen eine Runde im Atlantik schwimmen – dazu waren wir auf diesem Leg noch nicht ein einziges Mal gekommen – und starten danach die Spritfresser. Beim Einholen des Spinnakers verabschiedet sich auch noch dessen Halyard. Die Ummantelung der Leine war gerissen, das Seil selbst glücklicherweise nicht – sonst hätten wir das gesamte Segel verloren. Wie gut, dass wir eh gerade auf den Motor umsteigen wollten und bereits morgen an Land wären. Am Nachmittag gebe ich zwei Nachhilfestunden, bevor dann meine letzte Nachtschicht dieses Legs beginnt.
Dienstag 11.03.2025 – Fernando de Noronha
Als ich nach dem Aufstehen, den Horizont nach Land absuche, werde ich zur Überraschung des verschlafenen Artsiom, der mir gerade eben noch garantiert hatte, dass unser Ziel noch nicht zu sehen sein, fündig – da hinten, ganz klein! Schnell werden die Konturen der zu Brasilien gehörenden Insel grösser. Bereits um kurz vor Zehn lassen wir dann den Anker ins Wasser gleiten und lassen das Dinghy zu Wasser. Unzählige skurril geformte mit dichtem Dschungel bewachsene Felsen ragen aus dem türkisblauen Wasser in die Höhe – Fernando de Noronha wirkt wie der Drehort eines Piratenfilms. An Land angekommen, muss als erstes die Bürokratie abgehackt werden. Da man an dem kleinen „Customs“-Büro im Hafen, nicht die nötigen Stempel hat, werden unsere Pässe zum Flughafen der kleinen Insel kutschiert und dort durchgestempelt. Solange das geschieht, warten wir einer kleiner, paradiesisch wirkenden Bar, und trinken gemeinsam ein Bier. Boris und Artsiom würden uns hier verlassen, dafür war Yuri, ein unscheinbarer Mann in seinen Mittvierzigern, soeben zu uns gestoßen – er würde Ilya und mich auf dem letzten Leg begleiten. Wenn nicht meine Familie Flüge in die Karibik gebucht hätte und Ilya mich nicht ausschließlich wegen des letzten Legs mittgenommen hätte, dann wäre auch ich hier von Bord gegangen. Der erste Eindruck, den ich hier von Brasileine bekam, reizte mich unglaublich – doch darauf dieses Land als Backpacker bereisen zu können, musste ich mich erstmal noch ein wenig gedulden. Da von unseren Pässen noch immer jede Spur fehlt und uns niemand sagen kann, wie lange es dauern würde, bis die Pässe zurück im Hafen wären, kehren wir vorerst auf das Boot zurück. Dort reparieren wir – in nervigster Fummel-Arbeit, aber dafür recht unkompliziert – unsere Spinnaker-Halyard. Kaum ist der Punkt abgehackt kommt auch schon ein kleines Motorboot mit sechs Diesel-Kanistern darauf. Die ersten 150L füllen wir direkt in unsere Tanks, weitere 150L verstauen wir als zusätzliche Reserve für die kommende Etappe in den Katakomben des Bootes. Am frühen Nachmittag begeben wir uns zu einem erneuten Landgang, sammeln unsere inzwischen gestempelten Reisepässe ein und gehen gemeinsam etwas essen. Dann heißt es Abschied nehmen. Boris und Artsiom nehmen ein Taxi in Richtung Flughafen – wir kehren nur noch zu dritt auf das Boot zurück. Da wir uns morgen früh noch unserem größten Problem – der gerissenen Halyard des Großsegels – widmen müssten, bleiben wir die Nacht über vor Anker liegen und schmeißen am Abend dafür den Grill an.
Mittwoch 12.03.2025 – Höhenangst?!
Um kurz vor sieben – am frühen Morgen ist der Wind noch nicht so stark – lasse ich mich von Ilya auf die Mastspitze hochziehen. Hier soll Ich ein kleines Seil in eine Öffnung einfädeln, mit welchem wir später die um das gerissene Stück gekürzte Halyard in den Mast hineinziehen könnten. Obwohl es nahezu windstill ist, schaukelt es auf dem Mast gewaltig. Wind der Katamaran nur leicht von einer kleinen Welle geneigt, so ist die Amplitude in mehr als 20 Metern Höhe um ein Vielfaches größer. Eigentlich habe ich kein Problem mit großen Höhen, aber bei dem Geschaukel wird es selbst mir mulmig. Ich klammere mich also mit beiden Beinen und einer Hand am Mast fest und versuche mit der zweiten Hand zu arbeiten – nur brauch ich für das, was ich machen soll, zwei Hände. Nachdem es endlich gelungen ist, dass dünne Seil, an welches wir zur Beschwerung ein Angelgewicht gebunden hatten, über die zwei Blocks (Rollen) in den Mast zu führen, steckt das Seil irgendwo fest – es geht weder vor noch zurück. Uns bleibt nichts anderes übrig als das Seil abzuschneiden und einen zweiten Versuch zu wagen. Während ich in den luftigen Höhen hänge, zieht gerade eine Gruppe Delfine ihre Runden um unser Boot – für einige Sekunden geraten die Höhe, das Geschaukel, meine von dem Klettergurt abgeschnürten Beine und meine scherzenden Arme in Vergessenheit und ich genieße es hier oben zu sein. Nachdem ich zum dritten Mal auf den schaukelnden Mast geklettert bin, haben wir endlich Erfolg – die Halyard ist wieder im Mast. Nun müsste das Seil nur noch einmal oben am Mast festgeknotet werden – unser gesamtes Großsegel würde stäter an diesem einzigen Knoten hängen. Hätte ich doch beim Knotenüben etwas besser aufgepasst! Fünfmal lasse ich mir den Knoten von Ilya zeigen, bevor ich ihn dann unter erschwerten Bedingungen in 25 Metern Höhe bestmöglich nachmache. Gegen Mittag lichten wir dann den Anker – das letzte Leg beginnt. Etwas mehr als 2000 Seemeilen verbleiben bis Grenada …
Donnerstag 13.03.2025 – Russisch, Niederländisch, Deutsch & Spanisch
Verschlafen komme ich gegen Neun aus meiner Kabine. Seit gestern waren wir nur noch zu dritt an Bord. Zwar hatten wir die Schichten bisher sowieso nur auf drei Personen aufgeteilt – Ilya hatte sich fein rausgehalten – das ist also gar keine Umstellung – nur hatte ich nun wieder die Mitternacht bis vier Uhr Schicht. Schnief! Mit einem gut gelaunten „Goedemorgen!” begrüsst mich Yury im Cockpit, als er von seinem Handy aufschaut, auf dem er gerade eine Doulingo-Lektion macht. Da er in Utrecht lebt, lernt er mithilfe der App die niederländische Sprache. Und da die der deutschen sehr ähnelt, sprach er nun Niederländisch mit mir und ich Deutsch mit ihm. Yury die ganze Zeit fleißig Lernen zu sehen, erinnert mich daran, dass ich mich seit einer Ewigkeit nicht mehr meinen Spanisch-Lektionen gewidmet hatte – das wäre eigentlich ein guter Zeitvertreib. Doch anstatt Spanisch zu lernen, vertreibe ich mir die Zeit mit anderen Dingen, lese ein Buch, schreibe an meinem Blog und exportiere die Bilder, die wir auf dem ersten Leg mit der Drone gemacht hatten – dazu waren wir noch gar nicht gekommen. Vom Wind fehlt auch heute jede Spur. Der Füllstand unseres Dieseltanks sinkt bedrohlich schnell – eine grobe Kalkulation beruhigt mich, dass wenn wir morgen den Motor abschalten könnten, ich vielleicht doch noch mein 0€-Reisebudget aufrechterhalten könne.
Freitag 14.03.2025 – Wind? Oder doch nicht?
Am Morgen weht ein leichter Wind – genug damit ich Ilya davon überzeugen kann die Motoren auszustellen und den Segeln einen Versuch zu lassen. Und tatsächlich sausen wir schon wenig später mit guten acht Knoten über das Wasser. Ein Lächeln zaubert sich auf mein Gesicht – nicht nur das Gefühl nach zwei langweiligen Motorsailing-Tagen wieder den Wind in den Segeln zu spüren, sondern vor allem, zu merken, dass ich inzwischen eigenständig in der Lage war, zu erkennen welcher Wind sich inwiefern für uns lohnte, machte mich glücklich. Und nicht zuletzt war ich froh, dass der Knoten, den ich Vorgestern an der Mastspitze gemacht hatte, seiner Bewährungsprobe standgehalten hatte. Doch schon bald verfliegt die gute Stimmung, so schnell, wie sie gekommen war – der Wind verschwindet wieder, die Segel müssen eingeholt werden, die Motoren rattern wieder vor sich hin. So vergeht ein weiterer lustloser Tag, ohne Wind und mit viel Langeweile – bis am Abend auf einmal ein Geräusch ertönt, dass Ich inzwischen ganz gut kannte: Wir haben etwas an der Angel – etwas Großes. Mit vereinten Kräften drehen Ilya und Yury an der Kurbel und ziehen einen 7kg schweren Wahoo aus dem Wasser. Es dauert nur wenige Minuten, bis ein frisch zubereitetes Sashimi auf unserem Tisch steht. Kaum ist das aufgegessen, folgt auch schon das Abendessen – gebratene Wahoo-Filets.
Samstag 15.03.2025 – Äquatortaufe
Gerade als ich aufwache, gehen gerade die beiden Motoren aus. Wenig später höre ich das Geräusch vom Setzten der Segel – nach zweieinhalb Tagen ohne Wind waren wir endlich wieder unter Segeln! Der heutige Tag wäre ein Besonderer: Wir würden den Äquator überqueren. Die „Äquatortaufe“ – die erste Überquerung des nullten Längengrades auf einem Schiff – zählt als Einstand in das Seemannsleben und wir nicht selten mit einer gebührenden, einem Junggesellenabschied ähnelnden, Zeremonie gefeiert. Da es für uns alle die erste Äquatorüberseglung ist, haben wir unser Schicksal allerdings selbst in den Händen – wir würden das Ganze eher gelassen angehen. Während unsere GPS-Koordinaten sich immer weiter dem Nullwert nähern, tauchen direkt unter unserem Katamaran auf einmal einige Delfine auf – was für eine wunderbare Überraschung. Wenig später ist dann der große Moment gekommen – wir sind nun auf der Nordhalbkugel. Unmittelbar nach dem Äquator holen wir die Segel ein und gehen eine Runde im Meer schwimmen – von dem Plan sich hinter dem Boot her, über den Äquator ziehen zu lassen, hatte ich Ilya noch abbringen können. Im Anschluss setzten wir die Segel wieder und beginnen zu Essen. Meine beiden Schiffskameraden hatten sich zur Feier des Moments kreativ verkleidet. Ilya hatte sich aus einer Salatgabel und einem Besenstiel einen Dreizack gebaut und seine Kapitänsmütze aufgesetzt. Yury klebte ein aus einer zerschnittenen Mülltüte bestehender Vollbart im Gesicht, dazu hatte er sich eine Fahrrad-Warnweste angezogen. Und ich … ich bin norddeutsch – Ich verkleide mich doch nicht du Dösbaddel! Okay, zugegebenermaßen mangelte es mir vielleicht auch einfach an Kreativität.
Sonntag 16.03.2025 – Fisch mit Reis
Ein ganzer Monat war inzwischen vergangen, seit wir von Kapstadt aus auf den offenen Ozean aufgebrochen waren. In einem ganzen Monat hatte ich diesen kleinen Katamaran nur zwei Mal für einige Stunden verlassen –und so langsam viel mir wirklich die Decke auf den Kopf. Zugleich sorgte die lange Zeit auf dem Meer dafür, dass ich immer mehr vom Segeln verstand. Die Abläufe an Deck waren inzwischen eine tief eingebrannte Routine, Ilya und Ich waren ein eingespieltes Team geworden – auch ohne Worte wusste man sofort was der andere vorhat. Seit gestern Morgen bliess der Wind wieder so richtig – wir kamen zügig voran. Trotz des Sonntages gebe ich am Nachmittag eine Nachhilfestunde nach der anderen – die Klausurenphase vor den Osterferien war im vollen Gange und ich hatte jeden Cent dringend nötig. Zum Abendessen gibt es Fisch und Reis – ein mir sehr wohlbekanntes Gericht. Und auch wenn die gretenfreien Wahoo-Filets um Welten besser sind, als der Fisch den ich in Westafrika täglich aufgetischt bekam, kann ich sie inzwischen nicht mehr sehen – seit wir vorgestern den Fisch gefangen hatten, hatte es zu jeder Mahlzeit – mit Ausnahme des Frühstücks – Fisch gegeben.
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