Montag 17.06.2024 – Straßenkantine
Die Dame an dem kleinen Straßenstand lächelt schon als sie mich sieht. Eine Portion Bohneneintopf mit Hafergrieß für 200 Franc (0,31€) – mein tägliches Frühstück. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt schon am Morgen eine „richtige“ warme Mahlzeit zu essen – wobei so ein Nutella-Brötchen auch mal wieder was wäre. Da ich am frühen Nachmittag – mitten am Tag – zwei Nachhilfestunden geben würde, lohnt es sich weder davor, noch danach etwas Größeres zu unternehmen. Ich nutze den Tag also um ein bisschen etwas zu erledigen: Geld abheben, Blog schreiben, den Antrag auf mein Benin Visum stellen, Dinge klären, Informationen zu Nigeria recherchieren. Im Gegensatz zum Auswärtigen Amt gibt das britische Außenministerium eine Karte heraus, die die Gefährdungslage in Nigeria nach Regionen einteilt. Obwohl auch das FCDO generell von Reisen nach Nigeria abrät, sind große Teile der Regionen an der Küste – also die Regionen, wo ich durch müsste – tatsächlich grün markiert. OpenDoors, eine christliche Organisation, die sich für verfolgte Christen einsetzt, schreibt in ihrem Jahresbericht, dass Nigeria das Land sei, in dem am meisten Christen aufgrund ihres Glaubens ermordet werden. Aber auch hier gibt es wieder ein starkes Nord-Süd-Gefälle. Der Norden ist streng islamisch, der Süden hingegen vorwiegend christlich. Nach all dem was ich die letzten Wochen herausgefunden und von anderen Leuten gehört habe, kann ich mir inzwischen tatsächlich vorstellen relativ sicher auf direkt Wege die Küstenmetropolen entlang das Land selbstständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu durchqueren. Doch final die Entscheidung dazu zu treffen fällt mir schwer. Ich hoffe immer noch auf das Wunder, dass ich spontan einen Overlander mit Geländewagen kennenlerne, der mich mitnimmt. Zum Mittag gibt es in einer kleinen Straßenkantine eine Portion Spaghetti mit Soße und Ei – Kostenpunkt: 300 Franc (0,46€). Isst man auf der Straße, so kommt man in Togo noch günstiger über den Tag als in den Ländern dafür. Drei Mahlzeiten am Tag kosten mich nicht selten weniger als 1,50€. Als früher im Geografieunterricht gehört habe, dass die Grenze für absolute Armut bei 2,15 US-Dollar am Tag liegt, hätte ich mir nicht vorstellen können, wie man damit überhabt leben soll. Inzwischen kann ich das: Bei 10.000 Franc (15,29€) Monatsmiete, kostet einen die Behausung knapp 50 Cent pro Tag. Dazu 1,50€ für Essen … et voilà! Nur für Rücklagen ist da kein Budget mehr – Leben von der Hand in den Mund.
Dienstag 18.06.2024 – Cascade de Womé
Obwohl auch heute wieder eine Nachhilfestunde meinen Tag mittig in zwei Hälften zerteilt entschließe ich mich am Morgen dazu, heute den letzten Wasserfall von meiner Liste zu streichen. Die Cascade de Womé liegt am absoluten Ar**h der Welt – irgendwo im Dschungel, weit weg von jeder größeren Straße. Ein Mototaxifahrer bietet mir an mich für 6000 Franc (9,17€) dort hinzufahren, vor Ort zu warten und mich dann wieder mit zurückzunehmen. Nach scharfen Verhandlungen einigen wir uns auf 4000 Franc (6,12€) und düsen dann über die schlaglochdurchzogenen Teerfragmente. Nach 40 Minuten Fahrt steht auf einmal ein schickes Haus im Nirgendwo, eine Schranke reguliert die Zufahrt, Bänke unter einem Pavillon bilden einen Wartebereich. Nachdem ich weitere 2500 Franc (3,82€) für den Eintritt hinblättern darf, stehe ich dann am Wasserfall. Während der Eingang alle Alarmglocken bei mir klingeln ließ, ist der Wasserfall ein echtes Highlight. In einen großen Schlucht, rauschen unglaubliche Wassermengen in einen großes natürliches Becken, die Sonnenstrahlen tanzen im in der Luft liegenden Sprühnebel. Ein von Lianen überwucherter Felsüberhang bildet eine große Grotte – so stellt man sich einen Wasserfall im Dschungel vor. Nach dem ich ein paar Runden baden war und mein Handyakku sich von den vielen Fotos geleert hat, geht es zurück nach Kpalimé. Ungeduldig gucke ich in meinen Posteingang. Eigentlich soll die Bestätigung für das Benin-eVisa innerhalb weniger Stunden kommen – ich warte nun schon einen Tag. Nach der Nachhilfestunde gucke ich weiter nach Infos zu Nigeria. Googelt man das Land ohne dabei „Reisewarnung“ oder „Sicherheitslage“ einzugeben, dann stößt man vor allem auf Berichte, die von Nigeria als „Powerhouse Afrikas“ schreiben. Mit 218 Millionen Einwohnern ist es der bevölkerungsreichste Staat Afrikas – jeder sechste Afrikaner ist Nigerianer. Die Ölindustrie floriert, die Infrastruktur und das Gesundheitssystem sind – für westafrikanische Verhältnisse – auf einem vorbildlichen Niveau. Am Abend gehe ich – wie immer – in der kleinen Straßenkantine noch etwas essen, bevor ich ins Bett falle.
Mittwoch 19.06.2024 – Serienmarathon
Als ich am Morgen auf Handy gucke, stelle ich fest, dass meine heutige Nachhilfestunde abgesagt wurde – ich hätte also den ganzen Tag nichts vor. Ursprünglich hatte ich mir für diese Situation vorgenommen den Mont Agou, den mit 986 Metern höchsten Berg Togos, zu erklimmen. Die Aussicht von dort oben soll beeindruckend sein, doch meine Motivation zu einer sechsstündigen Wanderung hält sich in Grenzen. Stattdessen gehe ich den Tag entspannt an, krabble, nachdem ich mir meine morgendliche Portion Bohneneintopf geholt, wieder in mein Bett und beginne eine Serie zu gucken. Eigentlich gucke ich kaum Serien – ich weiß schließlich genau was sonst passiert. Habe ich erstmal mit der ersten Folge begonnen, gucke ich so lange weiter, bis ich die Serie durch habe – Wenn mich nichts daran hindert auch gerne pausenlos. Nur mein Laptop der zwischendurch immer mal laden möchte, zwingt mich zu Pausen, in denen ich durch die mir inzwischen wohlbekannten Straßen Kpalimés schlendere. Am Nachmittag wechsle ich von der Serie zum EM-Spiel und gucke der deutschen Nationalmannschaft dabei zu, wie sie sich im Spiel gegen Ungarn ihren Platz im Achtelfinale sichert. Danach folgen die letzten beiden Folgen meiner Serie, so das ich die Staffel am Abend tatsächlich durch habe.
Donnerstag 20.06.2024 – Zurück nach Lomé
Das preiswerte Zimmer, gutes WLAN, günstiges Essen direkt vor der Haustür – eigentlich gibt es keinen Grund hier nicht noch länger zu bleiben. Da sind nur die Hummeln im meinem Hintern – ich bin schonwieder eine ganze Woche an einem Ort, ich will weiter. Am Vormittag gebe ich noch zwei Nachhilfestunden – seit neustem auch in Geographie. Eine Schülerin hatte keinen Tutor gefunden, der sie aufs Geographie-Abi vorbereitet. Geographie-Abi? Hatte ich eine Eins drin. Ein afrikanisches Entwicklungsland als Thema? Okay. Kann ich übernehmen. Gegen Mittag verlasse ich die Unterkunft dann. Die Kantinenfrau, bei der ich jeden Abend gegessen hatte, winkt und wünscht mir eine gute Reise, 50m weiter verabschiedet mich auch die Dame von meinem „Frühstückstand“. Die Buschtaxis in Kpalimé wirken irgendwie fehlorgansiert. Während normalerweise ein nach dem anderen gefüllt wird, stehen hier drei halbvolle Sept-Place-Taxis mit gleichen Ziel an der Straße und werben sich gegenseitig die Kundschaft ab. Nach einigem warten, meckere ich, dass ich gerne mal los wolle. Ganz unverhofft steigt mein Fahrer daraufhin ins Auto und fährt tatsächlich einfach los. Als wir drei Stunden später in Lomé ankommen, regnet es. Durch die matschigen Straßen bahne ich mir den Weg zu meiner Unterkunft – selbes Zimmer, wie beim ersten Aufenthalt. Kaum hat sich mein Handy mit dem WLAN verbunden, ploppt auch schon die erleichternde Nachricht auf, dass mein Visum nun endlich fertig wäre. Nach einer Woche „Bucket Shower“ tut das auf den Körper prasselnde Wasser einer richtigen Dusche unglaublich gut. Am Abend gehe ich in dem selben kleinen Restaurant, das ich auch vor meinem Trip ins Landesinnere besucht hatte, essen. Die Bedienung drückt ihre Freude mit einer extragroßen Portion Spaghetti aus. Nachdem ich sie nicht angeschrieben hatte, obwohl sie mir ihre Nummer gegeben hatte, muss ich ihr nun meine Nummer geben. Warum ihr das so wichtig ist – immerhin bin ich morgen weg aus Togo – bleibt mir ein Rätsel.
Freitag 21.06.2024 – Lost in Paradise
Gleich nach dem Frühstück mache ich mich auf den Weg zur an der Küste entlangführenden Nationalstraße, wo ich mir erhoffe ein an die Grenze fahrendes Fahrzeug zu finden. Der Plan geht auf: Kaum bin ich angekommen, sitze ich in einem Buschtaxi in Richtung Benin. Der Grenzübergang ist chaotisch. Man schickt mich von Fenster zu Fenster, dann von der Fußgänger zur Autospur. Irgendein Beamter nimmt sich dann doch meiner an und drückt mir platzsparend den kleinen Einreisestempel in den Pass. Mit einem weiteren Sept-Place-Taxi geht es nach Grand-Popo. Grand-Popo ist die Bezeichnung für einen 20 Kilometer langen und wenige Kilometer breiten Küstenstreifen, der auf ersten Blick Togo gehören müsste, jedoch Teil von Benin ist. Bekannt für schöne Sandstrände und Lagunen, stehen entlang dieses Streifens sämtliche Resorts. In der kleinen Ortschaft angekommen, mache ich mich auf die Suchen nach einer günstigen Bleibe. Für 5000 Franc (7,65€) bekomme ich ein Zimmer in einer heruntergekommen Unterkunft am Strand. Das Zimmer ist voller Mosquitos, die Armaturen im Bad sind von einer dicken Kalkschicht überzogen, das versprochene WLAN funktioniert – wenn überhaupt – nur in der allerletzten Ecke des Geländes. Dem Internet gegenüber misstrauisch, gehe ich zu einem Shop um die Ecke und handle mir dort mit Händen und Füßen eine SIM-Karte aus. Zurück in der Unterkunft, fühle ich mich irgendwie verloren. Ich war nun in Benin und somit im letzten Land vor Nigeria. Eine Entscheidung getroffen, wie ich Nigeria handhaben würde, habe ich weiterhin nicht, entsprechend mangelt es mir an zeitlicher Planung. Meine Reisekasse konnte ich in den letzten Wochen auf 565,02€ füllen. An sich ein stabiler Wert … wären da nicht ein Nigeria Visum für – im schlimmsten Fall – 260€ und ein Kamerun Visum für 165€, die ich im nur noch 70 Kilometer von mir entfernten Cotonou auf einen Schlag bezahlen müsste. Die Nachfrage nach Nachhilfestunden boomt – den beginnenden Sommerferien zugrunde – gerade auch nicht unbedingt – ich mache mit jedem Tag also eher minus, als das ich weiter Geld ansparen kann. Alles scheint irgendwie ungewiss, es gibt nichts woran ich mich orientieren kann, wenn ich die nächsten Wochen plane. Ich bin „lost“ – mitten an einem Ort, an dem andere Urlaub machen. Bei einem Blick auf die Uhr stelle ich überrascht fest, dass ich mich nun wieder in einer anderen Zeitzone befinde – nur noch eine Stunde früher als Deutschland. Am Nachmittag gucke ich mir ein kleines Museum in der dem Vodoo-Gott „Mami Wata“ gewidmeten „Villa Karo“ an. Dutzende bunte Skulpturen stellen das dreiköpfige Wesen, der halb Mensch halb Fisch seienden „Mutter der Wassers“ dar. Am Abend sitze ich am Strand und starre auf die Wellen: Einen wirklichen Plan für die nächsten Tage und Wochen habe ich immer noch nicht … wofür auch? Irgendwie geht es schon weiter.
Samstag 22.06.2024 – Explodiert
Auch heute gibt es nicht eine Nachhilfestunde. Heißt: Auch heute lebe ich von meinen Reserven, anstatt weiter Geld ansparen zu können. Eine einzige bisher geplante Nachhilfestunde in der nächsten Woche macht dazu verdammt wenig Hoffnung, dass sich das in absehbarer Zeit ändern würde. Mein Ausgabenlevel war im letzten Monat wesentlich gestiegen. Ich war vom Abenteuer zum Touri geworden. Vielleicht wäre es Zeit dahin zurückzukehren, woher ich gekommen war: Wildzelten oder Couchsurfen anstelle des Hotelzimmers; Trampen anstatt Buschtaxi zu fahren; kein Mototaxi mehr, sondern Wanderungen. Vielleicht würde ich dann auch wieder mehr Menschen kennenlernen, anstatt in meinem Hotelzimmer Serien zu gucken. Den Vormittag über sitze ich am Strand und schreibe an meinem Blog. Das WLAN funktioniert den ganzen Vormittag schon wieder nicht. Als ich den Besitzer der Unterkunft auffordere das zu ändern, bittet er mich erstmal, die nächste Nach zu bezahlen. Mir platzt der Kragen: Ich wäre nicht mehr bereit für ein derart abgewracktes Zimmer, ohne funktionstüchtiges Internet 5000 Franc zu bezahlen, brülle ich. Stürmisch packe ich meine Sachen und will gehen – doch man lässt mich nicht. Ich solle die nächste Nach dennoch bezahlen schließlich sei es 12.30 Uhr und ich hätte bis 12.00 Uhr auschecken müssen. Man hält mich fest. Die Geldforderung lässt man schnell wieder fallen, stattdessen wolle man nun meinen Pass haben. Solange man mich nicht loslässt würde ich den aber niemanden geben. Ich zücke mein Handy und filme die Situation „Das schicke ich der Botschaft! Hier kommt nie wieder ein Tourist hin!“ Nach einer halben Stunde schärfsten Konflikt, verlasse ich das Gelände wutentbrannt und miete mich in der Nachbarunterkunft ein. Als ich die Zimmertür schließe rollen mir Tränen übers Gesicht. Ich bin emotional am Ende! Die ganze Frust über die ungewissen nächsten Wochen, der sich die letzten Tage angestaut hatte, hatte mich explodieren lassen – Zum Leid eines armen Hotelbesitzers, dessen nicht funktionierendes WLAN halt gerade der Tropfen war, der das Fass zum überlaufen brachte. Nachdem der Frust nun raus ist gehe ich eine Runde spazieren. Endloser weißer Sandstrand, Fischer sammeln gerade ihre riesigen Netze ein. Am Abend sitze ich mit den Füßen im Sand unter Palmen an der zu meiner neuen Unterkunft gehörenden Strandbar und telefoniere mit meinen Eltern, während langsam die Sonne hinterm Horizont verschwindet. So schlimm geht’s mir gar nicht!
Sonntag 23.06.2024 – Quidah
Nach dem Aufstehen, sitze ich mit meinem Laptop vor der Nase an der Strandbar und gebe – endlich wieder – eine Nachhilfestunde. Eigentlich traumhaft hier! Dennoch packe ich nach der Nachhilfestunde meine Sachen und laufe zur Hauptstraße. Die ersten zehn Minuten mit ausgestrecktem Daumen sind nicht gerade vielversprechend. Einer der anhaltenden Mototaxifahrer lacht mich aus. Er kann gar nicht begreifen, dass ich wirklich glaube kostenlos von A nach B kommen zu können, ich stünde heute Abend noch hier. Recht behalten soll er allerdings nicht. Nur zehn Minuten später hält einer jungen Frau an und sammelt mich ein. Lange dauert die Fahrt nicht, ich will nur ins 40 Kilometer entfernte Quidah. Nachdem das Trampen schonmal gut geklappt hat, bräuchte ich jetzt nur noch einen billigen Schlafplatz. Ein Couchsurfer, den ich angeschrieben hatte, hatte meine Nachricht zwar gelesen, aber nicht reagiert. Ich klappere also einige Hotels ab, in der Hoffnung auf deren Gelände zelten zu dürfen – Fehlanzeige. Als ich nach anderthalb Stunden Suche dann ein Hotel finde, bei dem ich zwar auch nicht zelten dürfte, das aber bezahlbare Zimmer anbietet, verfalle ich der Bequemlichkeit und nehme doch wieder ein Hotelzimmer. An einem Stand nicht unweit von meiner Unterkunft verkauft eine Frau Ananas. Mit einer Ausgefeilten Schnitttechnik gekonnt in mundgerechte Stücke zerteilt kostet eine ganze Ananas nur 200 Franc (0,31€). Da ich ohne WLAN das heutige EM-Spiel nicht streamen kann, mache ich mich am Abend auf die Suche nach einer Bar mit Fernseher. Ein Mototaxifahrer, den ich frage, fühlt mit mir und bringt mich umsonst zu einer entsprechenden Bar. Nachdem ich 1000 Franc (1,53€) für eine normal 400 Franc (0,61€) kostende Flasche Limonade hingeblättert habe, stellt man dort jedoch auf einmal fest, dass der Streaminganbieter das Spiel gar nicht überträgt. Ich könnte mich zwischen Tennis, Formel 1 und America-Cup entscheiden. Nein, danke! Enttäuscht gehe ich zurück ins Hotel und muss mich mit dem Live-Ticker des Spiels zufrieden geben.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!