Montag 24.06.2024 – Würgeschlangen zum Kuscheln
Beim morgendlichen Blick auf mein Handy, sehe ich eine Nachricht von dem Couchsurfer, den ich angeschrieben hatte – er könne mich hosten. Nach dem Frühstück packe ich also meine Sachen und checke frühzeitig aus dem Hotelzimmer, das ich bereits für zwei Nächte gebucht hatte, aus. Zu Fuß mache ich mich zum Arbeitsplatz, einem Malaria-Forschungszentrum, meines Couchsurfing-Host. In seiner Mittagspause bringt Oswald mich dann mit dem Motorrad nach Hause. Obwohl er am Wochenende umziehen würde und das Durcheinander in der kleinen Zwei-Zimmer Wohnung entsprechend groß ist, nimmt Oswald mich selbstlos auf, bevor er sich wieder zurück auf den Weg zur Arbeit macht. Ich beschließe derweil die erste Sehenswürdigkeit Quidahs abzuhaken – den Foret Sacree. In dem kleinen angenehm kühlen Waldstück am Stadtrand stehen eine Handvoll aus der Voodoo-Religion stammende Götterfiguren. Während die einen Götter – der Wächter der Nacht zum Beispiel – mit Hilfe Disney-artiger Betonskulpturen dargestellt werden, müssen sich andere Gottheiten damit abfinden, dass ihr Abbild nur eine blecherne Schrott-Skulptur ist. Ich will mich gerade auf den Weg Richtung Strand machen, da erhalte ich eine Nachricht von Paula. Sie und Margareta seinen nun auch in Ouidah – die beiden machen gerade Urlaub hier in Benin. Ich drehe also um und treffe die Mädels vorm Temple des Pythons – der Hauptattraktion Ouidahs. Auch wenn unser Guide uns das Gegenteil versichert, wirkt es eher so, als sei der Tempel eine Touristenfalle, als das hier wirklich religiöse Voodoo-Rituale stattfänden. In einer kleinen runden Hütte liegen einige Dutzend Pythons auf dem Boden – man kann in dem Salat gar nicht mehr erkennen, welche Schlange welche ist. Ganz lässig schnappt sich der junge Afrikaner eine der Schlangen und hängt diese jedem von uns einmal um dem Hals – Kuscheln mit Würgeschlangen. Da Paula und Margareta den Foret Sacree auch noch sehen wollen, geht es dort – nachdem wir eine runde durch die lokale Markthale gedreht haben – ein weiteres Mal hin. Zumindest erkennt man mich wieder und ich muss kein zweites Mal Eintritt zahlen. Die beiden Mädels shoppen auf Ausgang noch großzügig Souvenirs, bevor es in die Unterkunft geht. Nicht nur haben Paula und Margareta sich das gleiche Hotel ausgesucht, in welchem ich bis heute morgen residiert hatte, sie haben sogar mein Zimmer bekommen. Direkt vor dem Hotel sitzt zuverlässig die Ananas-Frau, bei der ich mir noch einen Snack hole. Als Oswald gegen neun von der Arbeit nach Haue kommt, beginnt er die Wohnung weiter auseinanderzunehmen. Das Wandregal muss abgebaut, der Schreibtisch in durch die Tür passende Stücke zerlegt werden. Bis kurz vor Mitternacht helfe ich ihm noch bei Werkeln und lege mich dann auf dem Sofa schlafen.
Dienstag 25.06.2024 – Ben(Ch)in(a)
Eine Nachhilfestunde gegen Mittag sorgt dafür, dass ich den Vormittag ganz entspannt angehe. Auf dem Markt hole ich mir für 200 Franc (0,30€) zum Frühstück ein Avocado-Baguette. Inzwischen habe ich auch für Cotonou eine Zusage von einem Couchsurfing-Host erhalten – die ganze Woche für keine Unterkünfte zahlen zu müssen, das entspannt meine Finanzen wesentlich. Die meisten Attraktionen der Stadt habe ich gestern mit den Mädels abgeklappert. Nur das große Fort mit dem Nationalmuseum im Stadtzentrum fehlt, doch das ist aufgrund von Renovierungsarbeiten zurzeit geschlossen. Grundsätzlich fällt auf das hier in Ouidah unglaublich viel gebaut wird. Quasi jede zweite Straße ist gerade Baustelle, rund um alle Touristenattraktionen werden große Parkplätze und öffentliche Toilettenhäuschen gebaut. Man scheint mächtig in den Tourismus zu investieren. Nach der Nachhilfestunde laufe ich die zum Strand führende – ebenfalls gerade ausgebaut werdende – „Route de l’Esclave“ entlang. Links und rechts der breiten Asphaltpiste stehen kleine aus Schilf gebaute Hütten am Wasser. Fischer fahren in Einbäumen die Lagune entlang. Am Strand angekommen versperrt mir ein großer blauer Bauzaun die Sicht – Hier soll ein Tourismuszentrum entstehen. Spannend ist die Liste der beteiligten Firmen und Sponsoren, die ich auf einem Schild finde. Neben dem Logo der Tourismusbehörde Benins findet sich das Logo der „Bank of China“. Als ausführende Baufirma ist eine „Yunnan Construction & Investment Holding“ genannt, deren aus chinesischen Schriftzeichen bestehendes Logo auch den Bauzaun ziert. Benin scheint stolz auf den Deal zu sein, ich sehe das eher kritisch: Aus reiner Großzügigkeit spendiert der chinesische Präsident einem afrikanischen Staat wohl kaum ein Multimilliarden-Projekt. Neben dem Bauzaun steht am Strand ein großes Monument – fast würde ich von einem „Triumphbogen“ sprechen, aber dieser Begriff ist in Anbetracht dessen, dass die „Porte de non retour“ an die Verschiffung von Abermillionen Sklaven erinnert, ungeeignet. Ich laufe noch etwas am Strand entlang, bevor ich für eine spontane Vertretungsstunde ich nach Hause zurückkehre. Nachdem ich eine Stunde lang geduldig mit der 9-jährigen Schülerin Maßstäbe berechnet habe, wendet sich die Mutter an mich: Sie habe die Schnauze voll von der Nachhilfeplattform und würde mich gerne privat für ihre zwei Töchter engagieren. Für mich kommt das gelegen: Ich suche seit über zwei Monaten nach neuen Schülern und vor allem fällt mein Verdienst deutlich höher aus, wenn keine Vermittlungsplattform mitverdient. Oswald kommt wieder erst spät nach Hause – diesmal fangen wir aber nicht an seine Wohnung auseinander zu nehmen sondern machen früher das Licht aus.
Mittwoch 26.06.2024 – Reizüberflutung
Oswald scheint es ziemlich gleichgültig zu sein, was ich mache. Als ich ihm am Morgen erzähle, dass ich ja heute weiterfahren würde, kommt von ihm nur ein „Okay“ und er fährt zur Arbeit. Mit geschultertem Rucksack mache ich mich auf den Weg zur Nationalstraße. Während Trampen in Europa oft einfach nur eine Geduldsprobe darstellt, ist das Autos anhalten in Westafrika ein richtiger Drahtseilakt. Den hupenden Moto- und Buschtaxis irgendwie signalisieren, dass sie nicht anhalten sollen, gleichzeitig aber versuchen eines der wenigen dazwischen verteilten Privatfahrzeuge zu stoppen. Eine Ampel etwas die Straße runter, erschwert mein Vorhaben zusätzlich, da die Autos so nicht einzeln kommen, sondern immer phasenweise im großen Pulk. Nicht zuletzt ist es wesentlich einfacher aufzugeben, wenn man nicht erst wieder unzählige Kilometer zurück ins Stadtzentrum laufen muss um dort auf den nächsten FlixBus zu warten, sondern die öffentlichen Verkehrsmittel im Sekundentakt direkt vor einem am Straßenrand halten. Nach einer halben Stunde habe ich dennoch Erfolg und steige zu zwei Männern ins Autos, die mich mit nach Cotonou nehmen. Ich steige schon am Stadteingang wieder aus: Hier sitzt die „Agence Nationale d’Identification des Personnes“, bei der ich den Residentschaftsausweis bekomme, den ich brauche um das nigerianische Visum beantragen zu können. Die Ausstellung dessen, nimmt man ernster als man es in Abidjan tat: Man nimmt Fingerabdrücke von mir, macht Fotos … das ich meine Adresse in Cotonou nicht weiß, ist dafür aber kein Problem. 1500 Franc (2,29€) ärmer, mache ich mich zu Fuß auf den Weg ins Stadtzentrum, den Ausweis könne ich in den kommenden Tagen irgendwann abholen. Cotonou ist groß – das merke ich, als ich auf meinem Handy sehe, dass die Adresse meines Hosts immer noch zwanzig Kilometer von mir entfernt ist. Leider gibt es mehre Stadtviertel mit gleichem Namen, ich lande also bei meinem Versuch ein Mototaxi zu nehmen nicht da wo ich hin will. Zu Fuß bahne ich mir einen Weg durch die sich auf mich stürzenden Geldwechsler, Sandalen- und Handyhüllenverkäufer. Schweißperlen zieren meine Stirn. Ankommen in einer afrikanischen Hauptstadt bedeutet jedes Mal wieder die absolute Reizüberflutung. Bei einem zweiten Mototaxi-Anlauf nenne ich nicht das Stadtviertel als Ziel, sondern die dort stehende Universität – das funktioniert. Ryans Familie – Ryan selbst arbeitet noch – heißt mich in einem großen Haus in Strandnähe willkommen. Ich bekomme ein eigenes Zimmer – wenn ich im richtigen Winkel zwischen den anderen Häusern hindurchschiele, sogar mit Meerblick. Am Abend gehe ich mit Ryan essen bevor wir den Tag bei einem „La Béninoise“ – sehr leckerem lokalen Bier – in einer kleinen Bar ausklingen lassen.
Donnerstag 27.06.2024 – Warum einfach, wenn’s auch schwierig geht?
Ryan ist bereits zur Arbeit gefahren, als ich aufwache. Nach dem Frühstück beschließe ich heute hier zu bleiben und den Tag zu nutzten um ein paar Dinge zu erledigen. Die meisten Punkte auf meiner ToDo-Liste erfordern WLAN, doch das misse ich seit meinem zweiten Tag in Benin schmerzlich. Einige Punkte müssen nichts desto trotz erledigt werden – dann eben mit mobilen Daten. Recht zügig habe ich das dreiseitige Online-Formular für das Kamerun Visum durchgearbeitet und die nötigen Dokumente hochgeladen. Als ich dann meinen Antrag mit der Bezahlung abschließen will, kommt der Haken: „There was an error on gateway side“. Nachdem ich mehrmals alle Zahlungsmethoden erfolglos durchprobiert habe, wende ich mich an meinen Vater „Probiere Du das bitte mal“. Doch auch von Deutschland aus und mit anderen Kreditkarten kommt nichts als Fehlermeldungen zustande. Mist! Inzwischen bin ich Visa-müde – jedes Mal, ob in der Botschaft oder online, gibt es irgendein Problem. JEDES MAL!! Mit dem deutschen Pass soll man 190 Länder visafrei bereisen können – irgendwas habe ich bei der Auswahl meiner Route wohl falsch gemacht. Das nächste Problem lässt auch nicht lange auf sich warten – meine Powerbank verweigert mal wieder ihre Arbeit. Heißt de facto: Ich kann meinen Laptop nicht mehr laden. Aaargh!! Glücklicher Weise lassen sich die beiden Geographie-Stunden, die nun anstehen, auch ohne Whiteboard geben – „Das ist eh nur so ein „Laberfach““. Nach dem Mittagessen gönne ich mir um meine Laune etwas zu heben, ein Eis. Der FanMilk-Mann sitzt sowieso gerade neben mir in der Straßenkantine. Mit einer kleinen Hupe und einem Fahrrad oder einer Schubkarre, auf die jeweils eine Kühlbox montiert wurde, ausgestattet, verkaufen die FanMilk-Leute für 200 Franc (0,30€) kleine Plastiktüten mit gefrorener Milch in verschiedensten Geschmacksrichtungen. Eine leckere Erfrischung und gleichzeitig das einzige Milchprodukt, dass man hier kostengünstig bekommt. Ein Stück weiter die Straße runter gibt es frische Ananas. Diesmal zücke ich mein Handy und filme die sensationellen Schnitttechnik, mit der die Dame am Obststand die Ananas für mich zerteilt. Am Abend kommt endlich mal eine positive Nachricht: Meinem Vater war es gelungen das Kamerun-Visum zu bezahlen!
Freitag 28.06.2024 –That’s how Poor People Party
Schmerzlich gucke ich dabei zu, wie die Akkuanzeige meines Laptops immer weiter nach unten geht, während ich am Morgen die letzten in dem Gerät verbliebenen Prozente nutze um eine Nachhilfestunde zu geben. Nach dieser mache ich mich auf den Weg in die Innenstadt, genauer gesagt zur Ausweisbehörde. Leider enttäuscht man mich dort: Mein Residentschaftsausweis sei noch nicht fertig – ich solle am Mittwoch wiederkommen, wäre der Ausweis früher fertig würde man mich anrufen. Sorgen macht mir, dass die nigerianische Botschaft nur von Montag bis Mittwoch offen hat. Bekäme ich den Ausweis also erst am Mittwochnachmittag, dann müsste ich eine ganze weitere Woche in Cotonou warten. Zu Fuß laufe ich in den Teil der Stadt, in dem sich die meisten Busunternehmen befinden – ich will schonmal herausfinden von wo und zu welchen Tarifen ich nach Lagos – oder vielleicht direkt nach Benin City – komme. Leider enttäuschen mich auch die Busunternehmen – nach Nigeria fährt man nicht. Grund dafür ist, dass Nigeria den Übergang von West- nach Zentralafrika bildet und somit nicht Teil der ECOWAS (Economic Community of West African States) ist. Wie aufwendig ein internationaler Transport in Folge dessen wäre, wird klar als man mir an einer Buschtaxi-Station, zu der man mich gelotst hatte, einen Preis von 25.000 Franc (38,09€) für die 100 Kilometer nach Lagos nennt. Auf dem Rückweg lasse ich mich von meinem Motortaxi an einem großen Super-U-Supermarkt absetzten. Durch mit europäischen Produkten gefüllte Supermarkt-Regale zu schlendern ist immer wieder schön, nachdem man einen ganzen Monat lang keinem der Konsumtempel begegnet war. Allerdings gilt: Nur angucken, nicht kaufen – die Preise sind doppelt, teils sogar dreifach so hoch, wie in Europa. Zurück zuhause zaubert sich mir ein Lächeln ins Gesicht – mein Laptop hat geladen. Als ich mich am Nachmittag mit Ryan unterhalte stelle ich fest, dass mein Gastgeber mehr über Nigeria und das entsprechende Visum weiß, als ich es geglaubt hatte. Eine chinesische Couchsurferin – ebenfalls Rucksackreisende –, die letzte Woche hier war, hatte ihm gestern geschrieben, dass sie ihr Nigeria-Visum nun bekommen hätte. Das schöne ist der Preis, den sie gezahlt hat: „Nur“ 25.000 Franc (38,09€) Bestechungsgeld auf die offizielle Gebühr von 88 Euro – das wäre insgesamt halb so viel, wie Flo mir prophezeit hatte. Und auch was Busverbindungen angeht, weiß Ryan Rat: „Wenn du an der Grenze umsteigst, kommt du für unter 10€ nach Lagos … und wenn du hier früh losfährst, kannst du in Lagos direkt in einen Bus nach Benin City steigen.“ Am Abend begleite ich Ryan, der mit ein paar Freunden abhängt. Gemeinsam sitzen wir in dem kleinen Eckladen, des einen Freundes. Die Jungs trinken französischen Wein aus dem Tetra Pak, den sie mit irgendeinem 100%igem Alkohol verstärken. Dazu gibt‘s – wenig stilvoll, aber günstig – eine Packung Weißbrot. „That’s how poor people party“ ruft Ryan mir zu, während er zur Musik abgeht …
Samstag 29.06.2024 – Buntes Durcheinander
Sinnflutartiger Regen begleitet von Donnergrollen prasselt gegen meine Fensterscheibe. In Sekundenschnelle verschwinden die kleinen Stände auf den Bürgersteigen und die ungeteerten Straßen verwandeln sich in schlammige Pisten. Die gesamte kommende Woche liegt die Regenwahrscheinlichkeit bei etwa 80% – Obwohl die Temperaturen jeden Tag an die 30° Celsius erreichen, gibt es selten mehr als ein paar vereinzelte Sonnenstunden. Als der Regen nach dem Mittag aufhört, fahre ich zum Marché Dantokpa. Der riesige Open-Air-Markt ist das Ergebnis davon, dass man alle Märkte in Cotonou zusammengelegt hat. Mit mehr als 20 Hektar Fläche darf sich das bunte Durcheinander als größten Freiluftmarkt Westafrikas bezeichnen. Eigentlich wollte ich mich auf dem Markt mit Ryan treffen, doch irgendwas hat mit der Kommunikation nicht geklappt: Als ich zur vereinbarten Zeit am Markt ankomme, schreibt er mir gerade, dass er nun zuhause sei – ich schiebe mich also alleine durch die engen Marktgassen. Es gibt nichts, was es auf diesem Markt nicht gibt. Durch unzählige Gassen voller Gewürzen, Getreide und freilaufenden Hühnern, bahne ich mir einen Weg in die hintere Ecke des Marktes. Irgendwo hier soll es ein paar Voodoo-Stände geben, die zu rituellen Zwecken tote Tiere verkaufen. Von den Voodoo-Accessoires finde ich nur einen Stand, dafür aber unzählige, die europäische Second-Hand-Ware anbieten. Für wenige Euro kriegt man hier originale Markenkleidung in neuwertigen Zustand. Warum das in Europa jemand wegschmeißt? Vermutlich war es einfach nicht mehr die neuste gerade im Trend liegende Kollektion. Während viele sich über die günstigen Klamotten freuen, hat das Second-Hand-Business auch seine Schattenseiten: Obwohl in Benin die Baumwolle vor der Haustür wächst – Benin zählt weltweit zu den größten zehn Baumwollexporteuren – und die Kleidungsherstellung bei den niedrigen Löhnen unglaublich kostengünstig wäre, lässt sich kein rentables Business aufbauen, dass mit den Dumpingpreisen der importierten Second-Hand-Kleidung mithalten kann. Auf diese Weise verschwindet die traditionelle afrikanische Kleidung immer mehr von den Straßen und wird durch Jogginghosen und deutsche, französische oder niederländische Dorfvereins- oder Jugendfeuerwehr-T-Shirts ersetzt. Als ich von Markt zurück zuhause bin, ruft Ryan an – er sei jetzt wieder in der Innenstadt. Gegen Abend telefoniere ich mit meiner Familie. Irgendwie muss ich meinen Eltern ja noch beichten, dass ich mich inzwischen endgültig für Nigeria und gegen das Fliegen entscheiden habe. Im Anschluss gehe ich mit Ryan in eine Bar, die die Europameisterschaft überträgt, und fiebere beim Spiel der deutschen Nationalmannschaft mit.
Sonntag 30.06.2024 – Spontane Voodoo-Zeremonie
Wellen rollen monoton an den Strand, an dem ich den Vormittag über vor mich hin döse. Die Gischt und der kühle Wind erfrischen die sonst unerträglich drückende Hitze. Nach dem Mittag mache ich mich gemeinsam mit Ryan auf den Weg nach Porto-Novo. Ryan hatte mir als Ausflugziele die Auswahl zwischen einem Stelzendorf und der offiziellen Hauptstadt Benins gelassen. Da Boote in das Stelzendorf teuer sind und mein letzter Besuch in einer auf dem Wasser gebauten Siedlung noch nicht allzu lange her ist, war meine Wahl auf das portugiesische Kolonialerbe gefallen. In einem vollgequetschten Kleinbus fahren wir also die 30 Kilometer in die direkt an der Grenze zu Nigeria gelegenen Kleinstadt. Im Stadtzentrum ist die koloniale Vergangenheit Porto-Novos kaum zu übersehen: Unzählige Kolonialbauten im portugiesischen Baustil stehen rund um die durch die Altstadt führende Boulevardstraße. Ein kleiner Tempel, auf dem irgendetwas mit Voodoo steht, weckt unsere Aufmerksamkeit. Nachdem Ryan jemanden gefragt hat, wird uns allerdings erklärt, dass der Tempel nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sei. Stattdessen führt man uns in den Garten eines der an den Tempel grenzenden Häuser und stellt uns dort die häuslichen Voodoo-Altäre und Götter vor. Gerade als ich denke, dass die Führung nun vorbei sei, heißt es man müsse noch für mich beten – sonst würde man die Götter verärgern. Wir bezahlen 2000 Franc (3,05€), von denen man zwei Bier- und zwei 7up-Flaschen kauft, die den Göttern geopfert werden sollen. Dann geht die Zeremonie los: Aus einer stilvoll ummantelten Flasche, an der ein Tierschädel hängt, gibt es für jeden ein Shot Whisky. Man führt mich zum Altar und schüttet die Biere, den Whisky und etwas Palmwein über dort stehende nicht näher zu identifizierende Skulpturen. Das Murmeln und die Bewegungen des Mannes neben mir werden von den etwa zehn anderen im Garten sitzenden Leuten mit Sprachchorälen erwidert. Nachdem man irgendwelche bitteren Nüsse zwischen meinem Kopf hin und her bewegt hat, um sie schlussendlich dem Hausgott zu opfern, verspricht man mir, dass sich mein Leben sich von nun an um 180° wenden würde – eigentlich war ich ganz zufrieden mit meinem bisherigen Dasein. Es ist spannend zu beobachten, wie so eine Voodoo-Zeremonie im privaten wirklich abläuft. Kein touristisches Tam-Tam mit Kostümen und Musikkapelle – nur das was wirklich nötig ist, was auch heute noch wirklich praktiziert wird. Auch preislich kommen wir gut davon – wir haben nur die Trankopfer bezahlt. Normale Touristen zahlen hingegen gut und gerne fünfstellige Franc Beträge um eine Voodoo-Zeremonie erleben zu dürfen. Kleiner Funfact: Die in Europa als Horrorsymbol verbreiten Voodoo-Puppen, wie man sie unteranderem aus dem Film „Chucky – die Mörderpuppe“ kennt, spielen in der hier gelebten Voodoo-Kultur kaum eine Rolle. Nach der Zeremonie führt Ryan mich noch zu ein paar weiteren Orten – unter anderem einem traditionellen Restaurant –, bevor wir uns am Abend auf den Rückweg machen.
Hallo Felix,
wie immer, sehr interessant (thumbs up).
Komm gut nach, und durch, Nigeria.
Grüße aus dem hohen Norden.
Leif