Montag 22.07.2024 – Kilometer für Kilometer
Nach vier Nächten, die ich in dem kleinen Kloster verbracht habe, wird es für mich Zeit weiterzuziehen. Bis morgen Abend wolle ich in Yaoundé sein und dorthin sind es noch über 300 Kilometer. Bevor ich von den Brüdern verabschiede und mich auf den Weg zur Hauptstraße mache, habe ich allerdings noch das Privileg mal wieder eine Nachhilfestunde zu geben, die etwas Geld in mein spärlich gefülltes Portemonnaie füllt: 180,51€ sind es nun wieder, die mir für das nächste Visum und meine weitere Reise zur Verfügung stehen. Über eine Stunde stehe ich an der schmalen Teerstraße, die quer durch den Dschungel Kameruns führt. Verkehr gibt es hier kaum – und wenn, dann meinst nur Buschtaxis und Busse. Entsprechend lange dauert es, bis ich heilsfroh in das Führerhäuschen eines LKW klettern darf, der mich zumindest ein paar Kilometer in die nächste größere Ortschaft bringt – dort beginnt das Spiel, dann wieder von Neuem. Eine gefühlte Ewigkeit lang strecke ich jedem, nicht zu sehr nach kommerziellen Verkehrsmittel aussehenden, Fahrzeug meinen Daumen entgegen, das freundliche Lächeln ist inzwischen nur noch gekünstelt, mein Geduldsfaden auf Vollspannung. Wenig später steige ich in einen mit Nescafé-Logos versehenen Firmenwagen, der mich auf kleinen kurvigen Straßen mit Panoramaaussicht über die umliegende von dichten grünem Dschungel überzogene Berglandschaft in die nächste Kleinstadt mitnimmt. Dort stehe ich – nachdem ich aus dem Stadtzentrum heraus, wieder an die Hauptstraße gelaufen bin – dann zum dritten Mal, und warte und warte und warte. Als die Sonne hinter den Bergen verschwindet, gebe ich auch und steige für die letzten 40 Kilometer in ein bezahltes Sammeltaxi. In Bangangté trifft die von der Küste kommende Teerstraße auf die in die Hauptstadt führende Nationalstraße 4 – der perfekte Ort um morgen von einer guten Ausgangsposition zu starten. An der Tankstelle, an der man mich rauslässt, frage ich nach günstigen Hotelempfehlungen – die gibt es aber nicht. Stattdessen bietet mir der freundliche etwas Englisch sprechende Tankwart an, mich nach Dienstschluss bei ihm zuhause unterzubringen. Schlussendlich wird daraus, nur eine Nacht in der Tankstelle selbst – ich könne mich in der Werkstatt ausbreiten. Ohne Isomatte – die zu Flicken, habe ich immer noch nicht geschafft – ist der kalte Werkstattboden recht hart – aber immerhin: Sanitäranlangen, gratis, trocken und bewacht.
Dienstag 23.07.2024 – Welcome to Yaoundé
Die Nacht war absolut miserabel, von Erholung kann man wohl kaum sprechen. Meine Motivation heute wieder den ganzen Tag an der Straße zu stehen hält sich, als ich mich der Tankwart gegen sechs Uhr aufweckt in überschaubaren Grenzen. Nachdem ich mir an einem kleinen Stand zum Frühstück ein Omelett und eine heiße Schokolade gegönnt habe, laufe ich dennoch nicht zum Gare Routière ins Stadtzentrum, sondern entlang der Asphaltpiste zum Ortsausgang. Eine halbe Stunde halte ich durch, dann verfalle ich doch der Verlockung der im Zehnminutentakt am Straßenrand haltenden 30-Sitzer Busse – 4000 Franc (6,10€) für den bequemen Weg nach Yaoundé. Nach etwas über fünf Stunden Busfahrt erreicht der Bus die Outskirts von Yaoundé. Am Busterminal warte ich auf Samuel. Ihn und seine Frau Rose kennen meine Eltern aus alten Tagen – noch weit vor ihrer Hochzeit. Dennoch haben sie es geschafft den Kontakt wiederherzustellen und so empfängt mich die Familie hier in Yaoundé. Eine knappe Stunde, in der sich Taxifahrer und fliegende Händler um mich reißen, dauert es, bis die Hand eines Mannes sich auf meine Schulter legt – das muss Samuel sein. Gemeinsam steigen wir in ein Taxi. Zu meiner Beunruhigung fragt Samuel, ob ich denn schon wisse, wo ich in Yaoundé bleiben würde – eigentlich war ich davon ausgegangen, bei ihm Zuhause unterzukommen zu können. Über eine Stunde dauert die Taxifahrt vom Busbahnhof, bis zum auf der anderen Seite der Hauptstadt gelegenen Haus der Familie. Dort angekommen, stets bereits das Essen – alles was das Herz begehrt – auf dem Tisch und ich lerne Rose und Steffi, die mit 21 Jahren jüngste Tochter der Familie kennen. Schnell klärt sich auch das Unterkunfts-Missverständnis – im Haus sei genug Platz, Rose würde ein Zimmer für mich herrichten. Den restlichen Abend verbringe ich auf der Couch und höre mir die Geschichten an, die Samuel und Rose aus ihrer Zeit in Deutschland und über meine Eltern erzählen.
Mittwoch 24.07.2024 – Geldsorgen
In Yaoundé will ich Einiges an kleinen Dingen erledigen – Priorität hätte vor allem aber mein (vorerst) letztes Visum, dass ich hier beantragen muss. Nach einem schnellen Frühstück, mache ich mich mit einem Taxi auf den Weg zur Botschaft der Republik Kongo. Für das Visum braucht es nur zwei Fotos, meinen Impfpass, eine Hotelreservierung und ein Formular, dass die freundliche Dame am Tresen in die Hand drückt. Der einzige Haken liegt in der Wartezeit: Eine ganze Woche, dauert es bis ich meinen Pass wieder abholen kann. Schnellere Express-Varianten gibt es natürlich, aber die kosten mit 100.000 Franc (152,45€) gleich doppelt so viel, wie die Standart-Bearbeitungsdauer – wenn das so ist, habe ich Zeit. Zurück zuhause, mache ich mich in der Küche nützlich. Rose muss für das Richtfest des Hauses ihres Bruders Essen kochen – bei 40 Leuten summiert sich das. Den ganzen Nachmittag hantieren wir zu viert in der Küche zwischen unzähligen großen Töpfen herum. Irgendwann nimmt mich Rose zur Seite: Es gebe ein Problem mit dem Auto, mit dem man das Essen zu dem Richtfest bringen will, nun müsse man ein Taxi arrangieren – dafür habe man aber nicht das Geld. Kurzentschlossen drücke ich ihr die benötigten 50€ in die Hand und wir machen uns mit dem Töpfen im Gepäck auf dem Weg. Während ich im Taxi sitzet zweifle ich an meiner Entscheidung – die 50€ waren mehr als die Hälfte meines Budgets – nun hätte ich nur noch knapp 30€ in meiner Reisekasse. Wie soll ich damit weiterkommen? Am Haus ihres Bruders angekommen wird traditionell eine Flasche Wein vom Dach heruntergeschüttet, welcher dann von den unten stehenden Zuschauern mit Bechern aufgefangen werden muss. Danach gibt es dann das Essen. Auf dem Rückweg höre ich heraus, dass das Taxi wohl nur 15.000 Franc (22,87€) kostet und entwickle daraufhin eine Skepsis: Wo fließen die anderen 25.000 Franc hin, die ich Rose gegeben hatte? Zuhause angekommen entscheide ich mich Rose darauf anzusprechen: Die Geldnot sei doch nicht so akut, wie ich es verstanden hatte. Rose will morgen mit mir nach Kribi fahren um dort Fisch zu kaufen und mir den bei Touristen beliebten Strandort zu zeigen. Das Geld sei auch dafür. Ich beschließe daraufhin Rose nicht nach Kribi zu begleiten und nehme lieber die Hälfte des Geldes wieder an mich. Kribi zu besuchen hatte ich ursprünglich so wie so nicht eingeplant und das Geld könne ich in Betracht meiner angespannten Finanzlage definitiv besser einsetzten, als es für einen Tagestrip zu verpulvern.
Donnerstag 25.07.2024 – Dschungelprüfung
Nachdem ich heute nicht um 04.30 Uhr aufstehen musste, um Kribi zu fahren, gehe ich den Morgen entspannt an. Irgendwann raffe ich mich dann doch auf aktiv zu werden, und wasche meine Wäsche – die hat es mal wieder bitternötig. Auf der einen Seite staune ich jedes Mal wieder, wie braun das Wasser im Kübel nach dem Waschen ist, auf der anderen Seite kommt es mir auch nach der x-ten Handwäsche immer noch so vor, dass die Kleidung nicht ganz sauber wird – einige Flecken verschwinden solange man noch auf ihnen herumrubbelt einfach nicht. Aber was solls? – Ich bin auf Weltreise, nicht auf einem Schönheitswettbewerb. Seitdem ich angekommen bin, redet Samuel davon, dass er mit mir in den zoologischen Garten gehen möchte – das machen wir also nach dem Mittag. Während man sich in Deutschland immer hin noch die Mühe macht, die Käfige ansprechend – dem Besucher das Gefühl eines sich wohlfühlenden Tieres vermittelnd – zu gestalten, scheint man diesen Ansporn hier nicht zu haben. Eine Gruppe Primaten sitzt in einem winzigen rostigen Gitterkäfig auf dem zugekoteten kalten Betonboden – Spielzeug oder Klettermöglichkeiten gibt es nicht. Ein einsames Krokodil sitzt in der bräunlichen Wasserlache, die einst mal ein richtiges Becken gewesen sein muss. Es wirkt als hätte sich seit langer Zeit niemand mehr um die Tiere und ihre stählernen Gefängnisse gekümmert. Ein zutiefst trauriger und sämtliche Dinge in Frage stellender Anblick! Als wir an den Glaskästen mit den Reptilien vorbeilaufen deutet Samuel auf eine hinter der dreckigen Scheibe liegende Viper und sagt: „Die schmeckt gut!“. So kommt es, dass wir uns, nachdem wir den Zoo verlassen haben, auf den zu einem Bush-Fleisch-Markt machen. Hier gibt es nichts, dass es nicht gibt: Darf’s ein Schlangenfilet sein? Oder doch lieber ein Stück unter Schutz stehendes Gürteltier? Affe?! Klar, welche Art hätten sie gerne? Einige der Tiere sitzend noch lebend auf dem Markt und werden frisch vor den Augen des Käufers über einem Feuer getötet. Selbst in Kamerun ist der Handel mit den meisten exotischen Wildtieren – und natürlich ihrem Fleisch – strengstens verboten. Als ich mein Handy zücken und ein Foto machen möchte, werde ich sofort zurechtgewiesen. Samuel und Ich verlassen den Markt nur mit etwas Warzenscheinfleisch und drei kleinen Weißen Larven. Schimpanse und Viper waren uns dann doch – sofern man 30.000 Franc (45,75€) für einen ganzen Affen als teuer bezeichnen kann – zu teuer. Als Samuel zuhause angekommen die Tüte öffnet, scheinen die drei noch lebenden Larven zu fehlen. Vielleicht im Taxi entflohen? Schlussendlich haben sich die vor sich hin schlängelnden weißen Proteinbomben doch nur in einer zweiten Tüte versteckt. Ich komme also doch nicht um meine Dschungelprüfung herum. Zu meiner Beruhigung kommen die Palmrüssler-Larven allerdings vorher noch in die Pfanne. Das Gesicht verziehe ich nur als der Kopf in meinem Mund knackt – ansonsten schmecken die Larven tatsächlich gar nicht so schlimm. Dennoch bleibe ich lieber dem Warzenschein-Ragout, dass es zum Abendessen gibt, während ich mit Steffi eine UNO-Variation spiele.
Freitag 26.07.2024 – Powerfrau
Rose ist am Morgen wieder aus Kribi zurück. Neben Unmengen an Fisch und Kochbananen, die es nun zu verkaufen gilt, hat sie mir sogar ein Souvenir – einen krokodilförmigen Flaschenöffner – mitgebracht. Die wohlgenährte Afrikanerin ist in jeder Hinsicht das, was man als „Powerfrau“ beschreiben würde. Mit Fischen handeln, Catering für Events stellen, Hochzeitstorten backen – das sind nur ein paar der Nebentätigkeiten, die sie neben dem Bürojob, den sie irgendwie auch hat, stemmt. Gegen Mittag begleite ich Rose zu einem Restaurant, an das sie die gestern in Kribi gekauften Fische nun weiterverkaufen will. Mein Job dabei ist das Hin- und Herschleppen allerlei Dinge – stets zu Diensten. Nicht nur wenn sie Englisch spricht, sondern auch, wenn sie Französisch redet, benutzt Rose dabei hauptsächlich die Befehlsform – die Dame weiß, was sie möchte. Sie zu begleiten lohnt sich dennoch: Nachdem sie einen Teil ihrer Fische an das Restaurant verkauft hat gibt es eine große Portion leckeres Essen aufs Haus und der ein paar Wörter Deutsch sprechende Besitzer schenkt mir eine Flasche hausgemachten Ananassaft. Zurück zuhause setzte ich mich an den Laptop und plane meine Route für die nächsten Wochen. Über 1.500 Kilometer auf denen es fast ausschließlich dichten, kaum besiedelten Regenwald gibt sind es bis in die nächste große Stadt – das verspricht Abenteuer! Gegen Abend beginnt sich das Haus in eine Backstube zu verwandeln – neun Torten wollen Rose und Steffi innerhalb der nächsten 24 Stunden backen. Auf allen Tischen stehen Schüsseln, Töpfe und Backformen. Immer wenn nach mir gerufen wird, eile ich zur Hilfe, ansonsten verziehe ich mich lieber in mein Zimmer um im dem Durcheinander niemanden im Weg zu stehen.
Samstag 27.07.2024 – Afrikanische Hochzeit
Als ich am Morgen die Treppe herunterkomme, hat Steffi aus der gestiegen Backwarenschlacht bereits die erste Torte kreiert – eine doppelstöckige Cinderella-Geburtstagstorte, als nächstes käme eine dreistöckige Hochzeitstorte. Am Vormittag komme ich das erste Mal dazu, das Haus ohne Begleitung zu verlassen und etwas die Gegend zu erkunden. In erster Linie bergig ist Yaoundé. Von vielen Straßen erhält man einen nahezu perfekten Panoramablick über die Hausdächer der Hauptstadt zwischen denen hier und da ein paar große unbesiedelte grüne Berge hervorragen. Wow! Nach dem Mittag begleite ich Rose dann ein weiteres Mal als Taschenträger auf einige ihrer Fisch-Verkaufstouren. Die restlichen Fische, die sich nicht verkauft bekommen hat, lässt sie danach auf einem Markt ausnehmen und in gefrierschrankfreundliche Stücke schneiden. Als wir im Dunkeln wieder zuhause ankommen, heißt es ich solle mich schnell fertig machen – wir würden direkt weiter zu der Hochzeit fahren, für die man die Torte gebacken hat. Aus direkt werden knappe drei Stunden bevor Steffi und Ich dann um kurz nach zehn das dreistöckige Konditorstück zwischen uns auf der Rückbank eines Taxis verfrachten – wenn die mal heil ankommt. Auf der Hochzeit ist man noch lange nicht so weit, dass man zum Torte anschneiden übergehen würde. Macht aber nichts, denn wir dürfen uns solange am Hochzeitsbuffet bedienen – es gibt schlimmeres. So sitze ich da: Blick über das nächtliche Yaoundé, eine große Portion Hänchen auf dem Teller, ein Gläschen Rotwein in der Hand, nicht einmal die Namen des Hochzeitspaares wissend, mitten in Afrika. Irgendwann schneidet man endlich die Torte an und so können wir uns gegen zwei Uhr wieder auf den Rückweg machen.
Samstag 27.07.2024 – Afrikanische Hochzeit
Ganz gemütlich startet der nächste Tag – die Müdigkeit steht nicht nur mir ins Gesicht geschrieben. Auf meinem Laptop öffne ich den Livestream des Hamburger Gottesdienstes. Gemeinschaft haben, sich mit anderen Christen austauschen können, kraftvoller Worship – all das vermisse ich. Doch auf die nächste „Hillsong Church“ werde ich erst in Kapstadt treffen und das nächste ICF (International Christian Fellowship) könnte ich erst in Südamerika, in Rio de Janeiro, besuchen. Pünktlich zum Ende des Gottesdienstes kommt die vorletzte „The Race“-Folge heraus – so komme ich gar nicht erst dazu den Laptop zuzuklappen. Gerade als ich daran denke, dass ich meine Wäsche mal von der Leine nehmen müsste, beginnt es zu regnen – das hat sich dann wohl auch erledigt. Gegen Abend beginne ich wieder mit Steffi und einer Freundin von ihr „UNO“ zu spielen. Ich staune nicht schlecht, wie viele andere Kartenspiele den beiden einfallen, zu denen man die Karten auch zweckentfremden kann.
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