Montag 16.12.2024 – Überfallen
Auch zwanzig Minuten, nachdem der Bus ins Stadtzentrum laut Fahrplan hätte kommen sollen, fehlt von diesem jede Spur. Zu meiner Verwunderung stehe ich an der sonst belebten Bushaltestelle dazu heute vollkommen alleine. Weitere zehn Minuten vergehen, bis ich dann doch mein Handy zücke und mir einen Uber bestelle, der mich zum Hafen bringt. Just in dem Moment, als ich dort aussteige, erhalte ich eine Nachricht von meinem Seglerkontakt in der Waterfront-Marina – er sei dort, ich könne vorbeikommen. Eilig mache ich mich also durch die gähnend leeren Straßen auf den Weg in Richtung Waterfront, als ein augenscheinlich obdachloser Mann auf mich zukommt. „Give me your phone!“ fordert mich die Gebückt gehende Gestalt, in deren rechter Hand eine Küchenschere aufblitzt auf. Ich bleibe wie gelähmt stehen. Was tue ich jetzt?! „Your phone!“ wiederholt sich mein inzwischen direkt neben mir stehendes Gegenüber. Innerhalb von Sekunden löse ich mich aus der Schockstarre, schubse den Mann mit einer Hand nach hinten, um einen etwaigen Angriff mit der Schere abzuwenden und renne los – zu meinem Glück folgt mir der Angreifer nicht. „Alles gut! Nichts passiert!“ versuche ich mich zu beruhigen und doch hinterlässt der Überfall seine spuren in meinem Kopf. In der Waterfront angekommen empfängt mich ein freundlicher älterer Segler, der interessiert meinen Abenteuergeschichten zuhört. Platz auf der Yacht habe er leider nicht mehr, aber ich könne ja mal auf den Stegen rumfragen. Ganz anders als im RCYC zeigen sich die Leute in der Waterfront-Marina alle hilfsbereit, freundlich und zuversichtlich. „Hier liegen 45 Yachten, die im Januar alle über den Atlantik fahren. Irgendwo wirst du da schon mitkommen!“ sagt man mir – doch auf seinem eigenem Boot hat niemand Platz für mich. Gegen Mittag gehe ich noch einmal zu Royal Cape Yacht Club und laufe dort die Stege ab, bevor ich mich dann auf den Weg zum Busterminal mache. Allerdings fehlt auch hier jede Spur von den auf dem Fahrplan stehenden Bussen. „Ahhh … heute ist hier Feiertag“ fällt es mir wie Schuppen von den Augen und ich bestelle mir auch für den Rückweg einen Uber. Am Abend gehe ich mit Melanie und Marion noch spontan ins Kino.
Dienstag 17.12.2004 – Happy Birthday!
20 – Gestern war man noch Teenager, ein unbesorgtes Kind ohne jeglichen Plan vom Leben. Heute war man auf einmal in seinen Zwanzigern – der Lebensphase in der ein nicht kleiner Teil der Menschen bereits heiratet, Kinder kriegt und sich ein Eigenheim baut. Die ersten meiner Freunde haben sich bereits verlobt, statistisch gesehen ist nun ein Viertel meines Lebens um – Hilfe, geht das alles schnell! Trotz Geburtstag klingelt der Wecker früh – die Mädels hatten bei ihrer 13 Peaks Challenge krankheitsbedingt einen Tag überspringen müssen und wollten diesen heute nachholen. Und ich hatte – gerade fragte ich mich warum – zugesagt ein weiteres Mal mitzuwandern. Von demselben Parkplatz, von dem aus wir auch schon vergangenen Samstag gestartet waren, geht es – diesmal in entgegengesetzte Richtung – also wieder den Wanderpfad folgend in die Höhe. Nach einiger Zeit erreichen wir den ersten, neben einem Staudamm gelegenen Gipfel. Super! Jetzt nur noch von diesem Berg wieder runter, einmal über die nächsten zwei Berg rüber und dann müssten wir nur noch den 926m hohen Constantiaberg erklimmen. Naja, in irgendeiner Weise – ob man es glaubt, oder nicht – macht das Wandern zugegebener Weise dann ja doch irgendwie Spaß. Nach 30.000 Schritten erreichen wir die große Funkantenne, die den letzten Gipfel ziert, brechen daraufhin zum Abstieg auf und erreichen dann unser endgültiges Ziel – den Silvermine Dam. Bevor wir uns auf den Weg nach Hause machen, nehmen wir noch ein erfrischendes Bad in dem, durch eine Algenart bedingt, eher Cola farbenen Wasser des Stausees. Für den Abend haben Marion und Melanie auch schon eine Idee: Bei SPUR – einem südafrikanischen Burger- und Steakhaus-Franchise – würden am Geburtstag alle Mitarbeiter des Restaurants zu einem an den Tisch kommen und einem ein Ständchen singen. Das müsse ich einmal erlebt haben. Und so machen wir uns nach einer heißen Dusche und einer Verschnaufpause auf den Weg zum nächsten SPUR. Meine Kamera hat leider nicht dann aufgenommen, als sie das sollte – du musst das Bild der Horde klatschend singender Kellner, die einen mit Wunderkerzen gespickten Eisbecher servieren, also deiner Fantasie entlocken.
Mittwoch 18.12.2024 – Weihnachtspost
Zufrieden atme ich durch, als der Bus pünktlich an der Straßenkante hält – heute hätte ich also keinen Feiertag verpasst. Viel los ist im Hafen dennoch nicht, nur vereinzelt hantieren einige Leute auf ihren Segelbooten herum. Ich trinke also meinen obligatorichen Milchshake in der „Tavern of the Seas“ drehe eine Runde über die Stege der Marina und mache mich dann auf den Rückweg. Langsam aber sicher, lässt die Motivation weiter nach – meine Gedanken kreisen immer öfter um etwaige Alternativrouten, die Vorstellung wirklich über den Atlantik segeln zu können wird hingegen immer abstrakter. Nun wäre erst einmal Weihnachten – kaum jemand wollte dieses Fest alleine auf dem offenen Ozean verbringen, und so segeln die meisten Yachten erst zwischen den Tagen oder im kommenden Jahr weiter. Die meisten Boote sind leer, ihre Kapitäne in die Heimat geflogen, um dort mit der Familie Weihnachten zu feiern. Zurück zuhause kümmere ich mich erstmal um etwas anderes: Nach fast einem Monat sollte es nun auch das erste, über den normalen Postweg verschickte, Paket mit Bilharzia-Medikamenten nach Kapstadt geschafft haben. Vor die Haustür geliefert werden Pakete in Südafrika allerdings nicht – stattdessen hatte ich per SMS eine Meldung erhalten, dass ich die Sendung in einem Postzentrum zwei Bezirke weiter abholen könne. Fast sage ich Nein, als die Dame am Schalter mich auffordert den Inhalt des Pakets auf Vollständigkeit zu kontrollieren und ich in dem Paket erstmal nur Süßigkeiten entdecke. Doch als zwischen Haribos, Weihnachtsplätzchen, Marzipan und Christstollen auch die Medikamentenpackung auftaucht, bin ich mir dann doch sicher, dass es das richtige Paket ist – mein Cousin hatte es scheinbar gut mit mir gemeint.
Donnerstag 19.12.2024 – Wort für Wort
Ganze zwei Wochen hänge ich inzwischen mit meinem Blog hinterher und in Anbetracht dessen, dass meine Mutter am Sonntag zu Besuch käme würde ich auch in der nächsten Zeit kaum zum Schreiben kommen. Ich schaffe heute also so viel wie möglich weg und schreibe gleich zwei komplette Wochen meines Reisetagebuchs. Im Laufe meiner Reise habe ich bereits 61 Blog-Beiträge veröffentlicht – mit einer Gesamtlänge von über 140.000 Wörtern. Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher Roman kommt auf 70.000 bis 100.000 Wörter. Oft hatte ich bereits daran gezweifelt, meinen Blog in seiner jetzigen Form weiterzuführen. Bereits in der zweiten Woche auf Weltreise – damals noch in Amsterdam – war ich der Überzeugung gewesen, dass nicht jeden Tag genug Neues passierte um ein mein öffentliches Tagebuch interessant und lesenswert zu gestalten und wollte mit dem Schreiben aufhören … und doch blieb ich irgendwie am Ball. Die hohe Quantität – über jeden Tag etwas zu schreiben – stand dabei immer mit der Qualität der Beiträge in Konflikt. Und gleichzeitig bin ich der Überzeugung, dass gerade in der Quantität die Einzigartigkeit meines Blogs liegt. Während viele Reiseberichte nur von den tollen Dingen, den beindruckenden Abenteuern, und den spannenden Erlebnissen berichteten, erzähle ich eine vollständigere Geschichte und lasse auch die langweiligen, zermürbenden und dennoch realen Momente nicht aus – und dennoch kann jeder meiner Blog-Beiträge nur ein Bruchteil der Erfahrungen abbilden, die ich auf dieser Reise machen darf.
Freitag 20.12.2024 – Alle Jahre Tage wieder
Auf einen Tag zuhause, folgt wieder ein Tag, an dem ich in den Stadt fahre. Zuerst versuche ich mein Glück in der der Marina der Waterfront – dort liegen die Boote der „World ARC“ und der „Oyster World Rally“. Bereits durch den Zaun, lässt sieht man allerdings bereits, das dort heute nicht all zu viel los ist. Die meisten Segler, scheinen – genauso wie Torsten, der deutsche Segler, der mir als Kontaktmann in der Marina dient – bereits in den Heimaturlaub geflogen zu sein. Ich warte einige Zeit vor der verschlossenen Zugangspforte, doch niemand kommt durch diese hindurch und ich somit nicht in die Marina rein. Auch im Royal Cape Yacht Club, dem ich in Anschluss aufsuche herrscht nur wenig Betrieb. Das einzige Ergebnis des Tages ist, dass ich die Häfen vor den Weihnachtstagen nicht noch einmal aufsuchen müsste …
Samstag 21.12.2024 – Alternativlos
Was, wenn ich kein Boot finden sollte? Diese Frage kreist mit jedem Tag etwas öfter in meinem Kopf herum. Was ist mein Plan B? Rein prinzipiell gab es für diesen Fall genau zwei Optionen: Entweder ich würde mein Ziel – ohne Flugzeug um die Erde zu reisen – an den Nagel hängen, in ein Flugzeug nach Südamerika steigen und dort meine Reise wie geplant fortsetzten, oder ich würde alle meine Routenpläne über Bord werfen und versuchen den afrikanischen Kontinent irgendwie auf dem Landweg wieder zu verlassen. Während die erste Option simpel ist, bedarf die Zweitere wesentlich mehr Planung – und der Frage, ob sie überhaupt eine Option ist?! Zeichnet man auf einer Afrika-Karte alle Staaten für die das Auswärtige Amt eine explizite Reisewarnung – Teilreisewarnungen nicht inbegriffen – ausspricht ein, so verbleiben einem verblüffend wenig Routen um den Kontinent ohne eine lange Schiffsreise zu verlassen. Einige der Länder sind aufgrund von Bürgerkriegen nicht zu bereisen, andere weil sie von terroristischen Rebellengruppen regiert werden. Ägypten – und damit die einzige Festlandverbindung zu einem anderen Kontinent – liegt abgeschnitten dar. Verbleiben noch zwei Meeresengen: Die Straße von Gibraltar hatte ich bereits für meinen Weg auf den afrikanischen Kontinent genutzt – auf der selben Route zurückzureisen kommt für mich nicht in Frage. Letzte Option ist also der „Bab al-Mandab“ – eine über dem Horn von Afrika gelegene Meerenge zwischen Dschibuti und Jemen. Da der Jemen allerdings von Huthi-Rebellen kontrolliert wird, ist auch diese Meerenge keine Option. Man müsste von Äthiopien aus über das Rote Meer nach Saudi Arabien reisen. Doch das rote Meer ist dort fast 300 Kilometer breit, offizielle Fähren gibt es nicht, und für diese Strecke auf ein kleines Schleuserboot zurückzugreifen … das wäre ein Selbstmordkommando. Kurz und knapp: Die Atlantiküberquerung ist alternativlos. Finde ich kein Segelboot, dann ist das das Ende der „Weltreise ohne Geld und ohne Flugzeug“ – ich müsste in ein Flugzeug steigen.
Sonntag 22.12.2024 – Besuch
Gemeinsam mit Marion steige ich um kurz vor acht ins Auto, im selben Moment poppt die Nachricht meiner Mutter auf „Gelandet.“ Nur wenig später falle ich Mama in der „Arrivals“-Halle des Kapstädter Flughafens in die Arme. Nachdem wir zuhause Hause den Koffer abgeladen haben, geht es direkt weiter zum Gottesdienst der Stadtmission. Den Nachmittag verbringen wir mit Planungen – was wollen wir gemeinsam machen? Neben obligatorischen Dingen wie dem Tafelberg, den Stränden an der Atlantikküste und der V&A Waterfront, möchte meine Mutter gerne auch Pinguine sehen. Da ich den Cape Point und Pinguinkolonie am Boulders Beach allerdings bereits besucht habe, entscheiden wir uns anstatt zum Kap der Guten Hoffnung zum Kap L‘Agulhas – dem tatsächlich südlichsten Punkt des afrikanischen Kontinents – zu fahren und auf dem Weg dorthin der Pinguinkolonie in Bettys Bay einen Besuch abzustatten. Wir schlendern am Nachmittag also durch einen Supermarkt und besorgen Proviant für die anstehende Tour.
Felix, schön das Du den Block weiter geschrieben hast
Ich sehe die Wunderkerze vor mir und kann das singen hören 🙂
Und ich finde es auch ganz toll, dass du weiterschreiben. Danke!
Happy Birthday nachträglich und ich freue mich auch immer, über die nächste Woche von Dir.
Gruß Leif (jetzt Tahiti)🙋♂️