Montag 24. November 2025
Es ist Montag – das bedeutet: Nachhilfestunde ohne Ende. Bevor es um acht mit der ersten Einheit losgeht, laufe ich noch schnell zum Supermarkt und kaufe mir ein paar Brötchen und Schokocreme, dann geht es für die nächsten sieben Stunden hinter den Laptop. Im Anschluss telefoniere ich mit meinen Eltern. Inzwischen war es siebzehn Uhr und ich hatte das Hostel – von meinem morgendlichen Ausflug in den Supermarkt abgesehen – noch nicht ein einziges Mal verlassen. Mein Ziel für den Abend ist das Ausgehviertel Barranco. Bekannt für seine Cafés, das pulsierende Nachtleben und die dort ansässige Künstlerszene, ist es neben Miraflores der zweite bei Touristen beliebte Stadtteil Limas. Das Licht der untergehenden Sonne färbt die schmalen, steilen Gassen, auf deren Wänden große Graffitis prangen, rot-golden ein. Gemütlich spaziere ich zwischen den Bars entlang und genieße die abendliche Frühlingsstimmung.
Dienstag 25. November 2025
Langsam packe ich das Chaos um meinen Rucksack zusammen, das sich in den sechs Tagen, die ich hier in Lima verbracht hatte, vor meinem Dormitory-Bett ausgebreitet hatte. Aus dem Gemeinschaftsraum heraus gebe ich noch zwei Nachhilfestunden und checke dann aus. Mit einem der Express-Busse geht es zu einer großen Schnellstraßenkreuzung im Stadtzentrum und von dort mit einem weiteren Bus durch den dichten Stadtverkehr an den äußersten Stadtrand der 11,2-Millionen-Einwohner-Metropole. Zum Mittag gibt es eine Portion „Pollo al Horno“, bevor ich mich dann meinen Daumen austreckend hinter der nahegelegenen Mautstelle positioniere. Ich muss nicht lange warten, bis mich ein SUV mit zwei Frauen darin in den nächsten Ort mitnimmt. Dort hält wenig später ein mit langen PVC-Rohren beladener Lastwagen. Hinter den Rohren ist auf der Ladefläche noch ein knapper Meter frei – das war dann wohl mein Platz! An der Panamericana ist es Gang und gäbe, dass Truck-Fahrer einen hinten auf der Ladefläche mitnehmen – auf diese Weise minimierte sich für sie das in dieser Region durchaus reale Risiko, von einem Hitchhiker überfallen zu werden. Nach vier Stunden Fahrt signalisiere ich meinen Fahrer durch Handzeichen, dass er anhalten soll, und springe ab. Ich würde von hieraus weiter ins Inland trampen. In Anbetracht dessen, dass die Sonne bereits unterging und auf der schmalen, ins Inland führenden Straße kaum noch Verkehr war, würde ich für die Nacht allerdings hierbleiben. Rund um die Kreuzung gibt es unzählige Zuckerrohrfelder, in denen ich – geschützt vor Blicken – mein Zelt aufschlagen könnte. Doch die nördliche Küste Perus gilt als nicht sonderlich sicher – vom Wildcampen wird hier dringend abgeraten. Also entscheide ich mich für eine andere Option: Auf iOverlander hatten einige Fahrradreisende davon berichtet, dass sie in der Feuerwache des nahegelegenen Ortes hatten nächtigen dürfen. Durch die Dunkelheit stapfe ich zur genannten Adresse und treffe – wie beschrieben – auf freundliche Feuerwehrleute, die mir, als ich sie nach einem Schlafplatz frage, bereitwillig ein Bett in ihrem Mannschaftsraum anbieten.
Mittwoch 26. November 2025
Es ist kurz nach vier, als mich das Klingeln eines Telefons weckt. Einer der Feuerwehrleute geht ran und stellt ein paar einfache Fragen – wenige Minuten später geht das Rolltor auf und das Löschfahrzeug der Wache fährt mit Blaulicht vom Hof. Als ich das nächste Mal aufwache, ist es bereits zehn. Ungläubig schaue ich auf die Uhrzeit auf meinem Handy – Wann hatte ich das letzte Mal so lange geschlafen? Zügig packe ich meine Sachen, verabschiede mich von den Feuerwehrleuten und laufe wieder zurück an die Straßenkreuzung, an der ich gestern herausgelassen wurde. Heute wollte ich es nach Huaraz schaffen, der für seine unzähligen türkisblauen Lagunen bekannte Wander-Hub, sollte mein vorletztes Ziel in Peru sein. Gleich der zweite Lastwagen, dem ich meinen Daumen entgegenstrecke, hält an und ich klettere zu zwei jungen Locals in die Fahrerkabine. Die Straße ist schmal, schlaglochreich, kurvig und steil – fast 4000 Höhenmeter gilt es zu überwinden. Gute vier Stunden brauchen wir auf diese Weise für die 122 Kilometer nach Conococha. Dort angekommen organisiert mir mein Fahrer direkt einen Folgelift: Sein Kollege sei eine halbe Stunde hinter uns und fahre bis nach Huaraz. Man wartet sogar noch mit mir, bis der hellblauen Lastwagen des genannten Kollegen und ich sicher darin sitze. Die verbleibenden zwei Stunden Fahrt vergehen schnell, die Straße ist wieder besser und auch die Aussicht kann sich sehen lassen. Als ich in städtischen Trubel von Huaraz aus dem LKW klettere, steht die Sonne bereits tief am Himmel – ich mache mich auf den direkten Weg zu einem Hostel, das ich online gebucht hatte.
Donnerstag 27. November 2025
Die Lagunen müssen bis morgen warten – für heute stehen erstmal eine Handvoll Nachhilfeeinheiten auf dem Plan. Nachdem ich mir bei einer Bäckerei etwas zum Frühstück geholt habe, bunkere ich mich also in dem Hostelzimmer, das ich mal wieder ganz für mich allein habe, ein und gebe eine Mathestunde nach der nächsten. Als ich meinen Laptop am Nachmittag schließlich zuklappe, überschreitet meine Reisekasse zum ersten Mal in ihrer Geschichte die 1000€-Marke – das Ergebnis davon, dass ich die letzten anderthalb Monate, anstelle der bisher meist üblichen 5-8 Stunden pro Woche, oft 15+ Stunden gearbeitet hatte. Die verbleibende Zeit des Tages nutze ich, um die Huaraz zu erkunden. Was mir direkt auffällt, während ich durch die Stadt laufe, ist, wie viel günstiger als an der Küste hier wieder alles ist. Theoretisch sollte man meinen, dass in schwer zugänglichen Bergregionen mit schlechter Infrastruktur die Preise höher sind als in flachen Küstenregionen, wo es große Autobahnen und Häfen gibt. Doch in Peru ist genau das Gegenteil der Fall: Die Küste ist gute 50% teurer als das wirtschaftsschwache Hinterland. Neben den krassen Preisunterschieden fallen mir die Unmengen an Weihnachtsdeko auf. Egal ob in Supermärkten, auf den Straßen oder in dem Krimskrams-Laden um die Ecke, überall glitzert und blinkt es. Auf dem Plaza de Armas stehen ein großer Tannenbaum, eine Krippe und Plastik-Rentiere. Und dabei ist es noch nicht einmal Dezember!
Freitag 28. November 2025
Früh am Morgen verlasse ich das Hostel, laufe ins Zentrum, kaufe mir noch ein paar Brötchen zum Frühstück und mache mich dann auf die Suche nach den nach Pitec fahrenden Collectivos. Eine Dreiviertelstunde fährt der schwarze Minivan auf kurvigen schmalen Wegen in die Berge, bis wir um kurz vor neun schließlich den „Laguna Churup“-Trailhead erreichen. In fünf Stunden würde man mich hier wieder abholen. Bis dahin wollte ich zu der vier Kilometer und 800 Höhenmeter entfernten Lagune und wieder zurück wandern – unmittelbar mache ich mich auf den Weg. Stufen führen zwischen zwei Lärchenreihen einen Grat entlang steil in die Höhe. Nachdem ich das Rangerhäuschen passiert und die Nationalpark-Gebühr bezahlt habe, wird der Weg schmaler und führt neben einem Wasserfall entlang einen Hang hinauf. Vereinzelt sind Metallketten und Seile angebracht, die man zur Hilfe nehmen muss, um steilere Felsabschnitte hochzukommen. Nach anderthalb Stunden erreiche ich erschöpft den tiefblauen und spiegelglatten Bergsee. Im Hintergrund ragt – leider in Wolken gehüllt – der schneebedeckte Gipfel des Churup Gletschers dem Himmel entgegen. Ich genieße ein wenig die Szenerie und erhole mich, bevor ich noch einen Abstecher zu einer zweiten deutlich kleineren Lagune mache. Eine halbe Stunde vor der vereinbarten Abholzeit bin ich zurück am Parkplatz, der Minivan lässt allerdings noch eine ganze Weile auf sich warten. Als er 20 Minuten verspätet schließlich auftaucht, teilt der Fahrer mir mit, dass wir noch eine ganze Stunde auf ein paar andere Wanderer warten müssten, bevor wir uns auf den Rückweg in die Stadt machen könnten. So ist es bereits später Nachmittag, bis ich zurück in Huaraz bin. Erschöpft schleppe ich mich zu meinem Hostel, gehe noch etwas essen und tippe den Abend über noch ein paar Zeilen an meinem Blog, damit dieser morgen früh pünktlich online gehen kann.
Samstag 29. November 2025
Das Spiel von gestern wiederhole ich heute noch einmal. Natürlich aber mit einem neuen Wanderziel – der „Laguna Ahuac“. Mehr Strecke, mehr Höhenmeter, weniger Wanderer – die Wanderung klang nach der perfekten Herausforderung! Schon die Fahrt zum Trailhead entpuppt sich als wahres Abenteuer: Das Collectivo ist bis zum Anschlag voll – eine korpulente Frau nimmt die Hälfte meines Sitzplatzes ein, ich habe meinen Daypack und einen großen Sack Reis auf dem Schoss. So geht es dann auf schlaglochreichen Schotterpisten und über aus Holzbrettern improvisierten Brücken in das Hinterland. Erst noch recht gemächlich startend nimmt der Wanderweg schnell an Steigung zu. In Serpentinen geht es immer weiter in die Höhe. Die Luft wird dünner, der Bewuchs immer weniger und die grüne Buschlandschaft verwandelt sich langsam in felsiges Gelände. Nach etwas mehr als zwei Stunden Wanderung erreiche ich schließlich die auf 4550 Metern gelegene Lagune. Eine kleine aus Felssteinen gebaute Schutzhütte bietet Unterschlupf vor dem eisig kalten Wind. Bald ziehen dunkle Regenwolken auf – das Signal zum Abstieg. Als ich es zurück zum Trailhead geschafft habe, beginnt es auch schon hinter mir zu donnern – perfektes Timing. Mit einem Collectivo geht es zurück ins Stadtzentrum und von dort in mein Hostel, wo mich eine heiße Dusche und ein Webentwicklungsprojekt, dem ich mich am Abend widme, erwarten.
Sonntag 30. November 2025
Nachdem die letzten zwei Tage anstrengend waren, gönne ich mir heute ein wenig Erholung. Ich schlafe lange aus und streame im Anschluss einen Gottesdienst, dann frühstücke ich und packe langsam meine Sachen. Zwei der bekanntesten Lagunen rund um Huaraz, die für ihr türkises Wasser bekannte „Laguna Paron“ und die oft mit der patagonischen „Laguna Torres“ verglichene „Laguna 69“ lagen gute 100 Kilometer von der Stadt entfernt in einem abgelegeneren Part des Huascarán Nationalparks. Um diese in den kommenden Tagen einfacher erreichen zu können, verlagerte ich mein Basecamp heute also ein paar Dörfer nach Norden. Nach einer guten halben Stunde, die ich am Straßenrand gewartet hatte, nimmt mich eine junge Familie auf direktem Weg nach Caraz mit. In dem kleinen Ort angekommen, gehe ich erst einmal Mittag – frittierten Fisch mit Reis – essen und mache mich dann auf die Suche nach der „Motoposada Casa Azul“. Das kleine von einem leidenschaftlichen Motorradfahrer betriebene Gasthaus bietet günstige Zimmer und einen Campingplatz an und hat sich damit in der Overlander-Szene einen Namen gemacht. Vor Wind und Wetter geschützt baue ich unter einem Blechdach mein Zelt auf, fläzte mich in eine Hängematte, telefoniere mit meinen Eltern und streame die neueste „Manhunt“-Folge.























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