Montag 02.09.2024 – Yachtclub
Vor meinem Zelt sitzend beobachte ich einen blonden Jungen in meinem Alter, der auf einem der an dem Steg liegenden Boote angeheuert zu haben scheint – so ähnlich könnte es mir in ein paar Monaten auch gehen. Die Tatsache, dass ich mich auf dem Gelände eines Yachtclub befinde, lenkt meinen Fokus wieder verstärkt auf die immer näher rückende „Atlantiküberquerung“. Langsam aber sicher wird es Zeit sich nach Mitfahrgelegenheiten über den „großen Teich“ umzugucken. Ursprünglich wollte ich die Suche bereits über Facebook-Foren begonnen haben, doch die machen mir wenig Hoffnung: Für die Route von Kapstadt nach Südamerika finde ich dort nur das Gesuch eines Paares, das ebenfalls nach einem Schiff sucht – und im Gegensatz zu mir haben die beiden Segelerfahrung. Unter anderen Gesuchen von Leuten ohne Segelerfahrung, die gerne die von den Kap Verden in die Karibik führende „Barfußroute“ segeln würden, hat man wenig Hoffnung für die Suchenden. „Würde gerne zum Mond fliegen, keine Astronautenerfahrung, kann kochen!“ spottet ein Kommentar. Als ich vor einem dreiviertel Jahr in einem Facebook-Forum meine Afrika-Pläne kundtat und nach Tipps für die Visa fragte, erntete ich auch größtenteils Spott: Man prophezeite mir die schlimmste Zeit meines Lebens und mutmaßte über meine Chancen entführt zu werden – Und doch stehe ich heute hier, nur noch zwei Länder vom Kap der Guten Hoffnung entfernt. In Bezug auf das Segeln hatte ich das Online nach Mitfahrgelegenheiten suchen dementsprechend abgeschrieben. Ich würde es in Persona in den Häfen Kapstadts versuchen. Ein Segler, der am Tisch neben mir sitzt, reißt mich aus meinen Gedanken – wir kommen ins Gespräch. Schon als ich ihm erzähle, dass ich von per Anhalter von Deutschland nach Südafrika reise, gesteht der freundliche Südafrikaner mir direkt eine 5% Chance ein, mich auf seinem Boot mit nach Namibia nehmen zu können. Fünf Prozent deswegen, weil er die Einreiseformalitäten schon erledigt habe und eine weitere Person nun schwierig zu erklären wäre. Zugegeben: Ich möchte auch viel lieber auf dem Landweg nach Namibia reisen, doch sein sofortiges Angebot schenkt mir wieder Hoffnung darauf, dass das mit dem Boote finden doch gar nicht so schwierig werden könnte. Zum Thema Atlantiküberquerung hat er ebenfalls positive Nachrichten für mich: Von Kapstadt aus gäbe es unzählige Yachtüberführungen in Richtung Karibik.
Dienstag 03.09.2024 – Sightseeing
Eine riesige angolanische Flagge weht im Wind über dem Fort, dass ich am Morgen besuche. Das „Fortaleza de São Miguel“, dass auf einem Berg mitten im Stadtzentrum die „Bay of Luanda“ überragt und einen großartigen Blick über die afrikanische Metropole bietet, dient heute als Museum. Alte Militärfahrzeuge und eine Ausstellung erinnern an den von 1975 bis 2002 in Angola herrschenden Bürgerkrieg. Die heißesten Stunden des Tages über – die Sonne in Luanda hat es in sich – verkrieche ich mich dann unter einem der Sonnenschirme des Yachtclubs sitzend hinterm meinem Laptop. Am späten Nachmittag starte ich zweite Erkundungstour. Und besuche den riesigen von einer großen Kuppel gezierten Prachtbau, der das angolanische Parlament beheimatet – daneben wird der Reichstag lächerlich. Gerade als ich mich auf den Rückweg mache, kommen Courtney und Timo aus der Tür einer Shopping-Mall, an der ich vorbeilaufe. Bei einem gemeinsamen Eis tauschen wir uns über die Erlebnisse der letzten Tage aus und werden dabei von einem bettelnden Jungen begleitet. Die extreme Beständigkeit und Nachdrücklichkeit mit der die Kinder auf der Straße hier betteln, ist etwas, dass mir vom ersten Tag in Angola an aufgefallen ist. Egal ob man sie ignoriert oder ihnen ein mehrfaches deutliches „Nein!“ entgegnet – die Kinder lassen nicht ab und folgen einem wohin man auch geht. Auch vor Körperkontakt wird beim Betteln nicht zurückgeschreckt. Zwanzig Minuten folgt uns der Junge mehre Kilometer während wir die abendliche Marina entlangspazieren und gibt dann irgendwann „Fuck you, man!“ rufend auf. Irgendwie armselig, wenn die einzigen englischen Worte die ein Kind spricht „Money!“ und „Fuck you!“ sind. Mit Courtney und Timo einige ich mich darauf, dass wir am Donnerstag gemeinsam weiter ins Landesinnere trampen würden.
Mittwoch 04.09.2024 – Kochbananendefizit
Die morgendliche Nachhilfestunde, die ich geben soll, wird – wie so oft – mal wieder fünf Minuten vorher abgesagt, stattdessen bastle ich den Vormittag über also, auf der Dachterrasse des Yachtclubs die Sonne genießend, an Webseiten herum. Gegen Mittag mache mich auf die Suche nach etwas Essbaren. Straßenküchen sucht man – zumindest in diesem Stadtteil – in Luanda vergeblich. Generell hat sich mit der Grenze vom Kongo zu Angola, das Essen gewandelt. Eingekauft wird zumeist in Supermärkten, Märkte sieht man wesentlich weniger. Apropos: Bezahlt wird in Angola –anders als in allen afrikanischen Ländern bisher – selbst in den kleinsten Geschäften typsicherweise mit Karte. Die Maniok-Wurzeln, die im Kongo noch Grundlage für nahezu alle Gerichte waren, findet man hier nicht mehr. Und auch meinen geliebten frittierten Kochbanen vermisse ich seit dem Grenzübertritt schmerzlich – die gibt es hier nur noch in gegrillt. Dafür gibt es nun ein anderes kulinarische Highlights: Hamburger. In Angola standartmäßig aus dem Patty, einem Spiegelei, etwas Röstzwiebeln und viel Soße bestehend, bekommt man das Fast Food an jeder Straßenecke für weniger als zwei Euro. Inzwischen haben sich neben meinem Zelt zwei Fahrzeuge eingefunden. Zwei Franzosen, die ebenfalls auf dem Weg nach Kapstadt sind, und ein französisches Pärchen, das gerade aus Ostafrika kommt. Bei einem gemeinsamen Tee sitzen wir zusammen und Tauschen uns über unsere Reiseerfahrungen aus, bevor ich mich dann auf die Dachterrasse zurückziehe und digital dem heimischen „Männerkreis“ beiwohne.
Donnerstag 05.09.2024 – Tramper Traum
Das Zelt ist abgebaut der Rucksack gepackt – es soll weiter gehen. Knappe 320 Kilometer möchte ich ins Landesinnere trampen um dort zwei Naturhighlights Angolas zu bestaunen. Doch erstmal stehe ich vor der Wahrscheinlich größten Herausforderung des Tages – ich müsste raus aus Luanda. Der Yachtclub liegt im innersten Standzentrum, bis zum Ende des Suburbans sind es allein schon 50 Kilometer. Eine Stunde laufe ich in Richtung der Hauptstraße, die schnurgrade in Richtung Osten führt. Zu meiner Überraschung haben die Sammeltaxis dort wenig Interesse an mir und es dauert keine fünf Minuten, bis ich in dem SUV einer Frau sitze. Nachdem mich Linga die ersten 30 Kilometer aus der Stadt herausgebracht hat, drückt sie mir zum Abschied noch Bananen, eine Tüte Zuckerrohr, und 8000 Kwanza (7,83€) in die Hand – ihre Tochter trampe gerade durch Australien, der würde sie dasselbe wünschen. Einen Lift später – es ist gerade erst zehn – erreiche ich die erste Stadt außerhalb Luandas. Hier kaufe ich noch schnell Datenvolumen für meine SIM-Karte, bevor ich mich wieder an die Straße stelle und direkt vom ersten vorbeifahrenden Auto mitgenommen werde. Stolz erklärt man mir der Fahrer, mit welcher Bekanntheit ich hier im Auto säße – sein weniger gesprächiger Beifahrer sei ein in Angola berühmter Rapper und gerade auf dem Weg zu einem Auftritt. Kurz bevor sich unsere Wege trennen halten wir dann an einer Tankstelle und man bringt mir – obwohl ich mehrfach betont habe, dass ich nichts bräuchte – eine Cola und eine Tüte Chips mit. Auch auf den nächsten Lift muss ich nur kurz warten: Ein kleiner Lastwagen kann mich die letzten knapp 200 Kilometer bis zu meinem Zielort mitnehmen. Trampen scheint in Angola super einfach zu sein. Noch dazu fragt mich keiner der Fahrer nach Geld – im Kongo und in Kamerun hatte man, wenn man das nicht vorher klar ausgeschlossen hat, immer davon ausgehen müssen, das der Fahrer am Ende eine „Lavage“ (franz. für „Wäsche“; gemeint ist Geld) verlangt. Je weiter wir ins Landesinnere kommen, desto schlechter werden die Straßen. Die Landschaft wird bergiger, große Baobab-Bäume ragen aus den sonst kahlen endlos weiten Flächen. Um kurz nach vier komme ich in Cacuso an und mache mich – nachdem ich in einer Straßenkantine etwas Fufu bekommen habe – auf die Suche nach einem Schlafplatz für die Nacht. Am Krankenhaus versteht man nicht so wirklich, was ich möchte, die Sprachbarriere macht das ganze nicht einfacher. Als man dann doch zu verstehen scheint, das ich hier zelten wolle, ruft man die Polizei zur Hilfe. Die freundlichen Polizisten nehmen mich mit zur Wache. Nachdem sich zwei dort zwei der Beamten gestritten haben, ob es Aufgabe der Polizei sei, mich dort campen zu lassen – glücklicherweise steht der Chef auf meiner Seite – darf ich dort mein Zelt aufschlagen.
Freitag 06.09.2024 – Quedas de Calandula
Exakt vier Fahrzeuge, die die von Cacuso nach Calandula führende Straße entlangkommen, zähle ich innerhalb einer vollen Stunde, die ich an der Abzweigung stehe. Drei der Autos gaben dabei an gar nicht bis in 50 Kilometer entferne Calandula zu fahren. Auch die Locals betrachten mein Vorhaben skeptisch – „Du musst ins Zentrum gehen, da kannst du ein Sammeltaxi nehmen.“ Nach einigen weiteren frustrierenden Minuten gebe ich auf und folge dem Rat. Auf meinem Weg zurück ins Stadtzentrum wird aus dem Trampen dann allerdings doch noch was: Ein am Straßenrand stehender Lastwagen würde nach Calandula fahren und ist bereit mich mitzunehmen. Eine Stunde später erreiche ich die kleine Stadt, die für die nach ihr benannten Wasserfälle bekannt ist. Auf einer bereite von 400 Metern stützt das Wasser des Lucala-Flusses über 100 Meter in die Tiefe. Gemessen an dem Volumen des Wassers, das die Fälle hinunterstürzt, sind die Quedas de Calandula der größte Wasserfall in Afrika. Von Calandula aus ist es noch ein einstündiger Fußmarsch, bis ich den Aussichtspunkt neben den Wasserfällen erreiche. Vielmehr als ein Großer sind es viele kleine Wasserfälle, die gemeinsam eine Dichte Nebelwolke erzeugen. Selbst am Ende der Trockenzeit eine absolut beeindruckende Kulisse! Auf die wenigen Touristen stützt sich eine Horde von Guides, die die Besucher gerne zum Fuße des Wasserfalls begleiten möchten. Der erste Preis liegt bei 20.000 Kwanza (19,57€), einigen tuen wir uns dann nach einer kurzen Diskussion auf 1000 Kwanza (0,98€), die ich für die Tour zahle. Auf einem steilen Pfad geht es hinab ins Flussbett und danach den selben Weg wieder hoch. Am Nachmittag soll ich eine Nachhilfestunde geben und stapfe dafür wieder den Weg zurück in die Stadt. Dort stellt sich dann heraus, dass meine Schülerin die Stunde vergessen hat, ich beschließe mich also auf den Rückweg nach Cacuso zu machen. Leider ist die Straße auch am Nachmittag nicht mehr befahren, als sie es am morgen war – ich sitze fest. Als es zu dämmern beginnt lasse ich mich dann von einem Pick-Up zumindest ein Stück aus der Stadt bringen, damit ich ungestört irgendwo im Busch mein Zelt aufschlagen kann.
Samstag 07.09.2024 – Pedras Negras
Nachdem ich meinen nächtlichen Lagerplatz verlassen habe, lasse ich mich von einem Sammeltaxi wieder zurück mit nach Calandula nehmen. Es kalt, der Himmel grau, die Stadt in dichten Nebel gehüllt. Gestern Abend hatte mir Courtney geschrieben, dass sie und Timo sich erst heute auf den Weg zu den Wasserfällen machen würden. Während ich neben der Popcornmaschine eines kleinen Kaufmannsladens sitzend mein Handy lade, halte ich also die Augen nach den Beiden offen. Um Elf fehlt immer noch jede Spur von zwei Europäischen Trampern, mein Handy ist inzwischen vollständig geladen – Ich beschließe also mich auf den Rückweg nach Cacuso zu machen. Ein kleiner Lastwagen nimmt mich mit aus der Stadt heraus und organisiert mir direkt meinen nächsten Lift auf der Ladefläche eines Pick-Ups. Nach einer kurzen Verschnauf- und Esspause in Cacuso geht es direkt weiter: Auch mein nächstes Ziel liegt 50 Kilometer außerhalb der Stadt – nur eben in die entgegengesetzte Richtung. Ein Lastwagenfahrer stammelt mich, auf portugiesisch irgendetwas von fünfzig – oder fünf? So genau weiß ich das nicht – Kilometern vor sich her stammelnd, ein und lässt mich bereits wenig später an einem Kreisel mitten im nirgendwo raus. Die hochstehende Mittagssonne knall gnadenlos vom wolkenfreiem Himmel herab – Schatten suche ich rund um die Straße vergeblich. Hatte ich mich heute Morgen noch fröstelnd in meinem Pullover gekuschelt, so leere ich nun bei 35°C eine Wasserflaschen nach der Nächsten. Eine volle Stunde vergeht, bis ein Auto vorbeikommt und sich überzeugen lässt mich zumindest in das nächste Dorf zu bringen. Nach einer weiteren halben Stunde ohne Verkehr stoppe ich dort den Pick-Up eines angolanischen Paares. Die beiden seien als Touristen und genauso wie ich auf den Weg zu den Pedras Negras – den schwarzen Steinen. Schon bald erscheinen die beeindruckenden Felsen neben der Straße. Gemeinsam besuchen wir einen Aussichtspunkt der einen hervorragenden Blick über die einzigartige Felslandschaft bietet. Während sich meine Mitfahrgelegenheit auf den Rückweg macht, überzeuge ich die zuständigen „Ranger“ mich auf einem der Felsen zelten zu lassen. Ich habe selten mit einem derart atemberaubenden Blick gezeltet. Thronend über dem Dschungel, umzingelt von riesigen Felsen, schlage ich im Licht der untergehenden Sonne mein Zelt auf und genieße die Stille.
Sonntag 08.08.2024 – Rückfallpotenzial
Wassertropfen wecken mich um Zwei Uhr – der Felsen auf dem ich schlafe ist in dichten Nebel gehüllt. Ich krabbele auf meinem warmen Schlafsack in nasse kalte Nacht hinein und ziehe die Plane über mein Zelt. Auch am nächsten Morgen hat sich der Nebel noch nicht gelegt. Vor mich hin schlummernd warte ich in meinem Zelt darauf, dass die Sonne herauskommt, bevor ich mich dann irgendwann doch entscheide mein klitschnasses Zelt einzupacken und aufzubrechen. Wieder an der Hauptstraße angekommen heißt es dann warten, warten und warten. Mein Handy kratz an der 5% Marke – meine Powerbank ist nach wie vor defekt. Erst um kurz nach Elf vernehme ich das Motorengeräusch eines die nach Cacuso führende Straße entlangfahrenden Autos. In dem modernen Pick-Up sitzen ein Portugiese, Eddy, und ein Chinese, die mich bereitwillig mit nach Cacuso nehmen. Auf die Frage wo ich von dort aus hin wolle antworte ich, um zu verdeutlichen dass ich Richtung Küste und nicht wie die Beiden weiter in Inland möchte, mit Luanda. „Da fahren wir heute Nachmittag auch hin. Wir können dich mitnehmen.“ bietet mir Eddy umgehend an. Erstmal steige ich aber in Cacuso aus und lasse mir eine Handynummer geben. Ursprünglich wollte ich diagonal – Richtung Südwesten – wieder zurück Richtung Küste trampen. Wieder zurück nach Luanda zu fahren wäre ein Umweg – allerdings kein allzu großer. Warme Duschen, leckere Burger, großes Softeis für 75 Cent, Strom, WLAN? … lange brauche ich nicht für die Entscheidung. Ich esse etwas und setzte mich dann in eine Bäckerei, in der ich mein Handy gerade wieder so voll laden kann, dass ich die Nachricht von Eddy sehe, dass er schon auf dem Weg zu mir sei. Um halb sechs erreichen wir die Außenbezirke Luandas. Da alleine rumlaufen im Dunkeln nicht sicher wäre, nimmt mich Eddy erst zu sich mit nachhause. Von der schicken Villa mit Pool bringt mich dann sein privater Chauffeur noch eine Stunde ins Stadtzentrum und liefert mich beim Yachtclub ab. Und so endet auch diese Woche in meinem Zelt liegend mit Blick auf die funkelnde Skyline der angolanischen Hauptstadt.
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