Montag 28.10.2024 – Lüderitz
Ich will gar nicht aufstehen, so warm und kuschelig ist es auf meiner Isomatte, die ich auf dem Boden einer im Garten des Hostels stehenden Schiffskajüte ausgebreiten hatte dürfen. Spätestens nach der Dusche, die nur entweder eiskaltes oder kochend heißes Wasser kennt, bin ich dann aber hellwach. Bevor ich irgendetwas anderes mache, setzte ich mich erstmal an meinen Laptop und stelle den inzwischen längst überfälligen Blog-Beitrag fertig. Trotz blauen Himmels und strahlendem Sonnenschein, weht in dem kleinen Küstenort ein kühler Wind, als die Treppe vor dem Hostel runter in Richtung des Hafens laufe. Die Lüderitzbucht war in den 1880er Jahren, der Ort an dem erste deutsche Schiffe anlandeten und wurde später zum Ausgangspunkt der Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“. Die Spuren der deutschen Vergangenheit sind in der Hafenstadt noch heute deutlich zu sehen: Die meisten Straßennamen sind deutsch, man sieht viele Fachwerkhäuser. Für ein Foto halte ich an der „Turnhalle“ des „Männer-Turnvereins“, welche sich direkt neben der „Lesehalle“, der örtlichen Bibliothek, befindet. Wenn man nicht gerade auf den Spuren der Historie ist, dann herrscht in Lüderitz tote Hose. Ich verkrieche mich am Nachmittag also in das windstille Hostel und widme mich an meinen Laptop einem anderen Thema – meiner Atlantiküberquerung. Noch Ende dieser Woche würde ich in Südafrika einreisen – Kapstadt und damit die Suche nach einem Boot, dass mich mit über den „großen Teich“ nehmen kann, kommen immer näher. Ich bastle also ein Gesuch zusammen, dass ich in Kapstadt an den schwarzen Brettern, der Marinas und Yachtclubs aushängen und zugleich in den sozialen Medien verbreiten könne.
Dienstag 29.10.2024 – Point Diaz
Solange die Sonne noch nicht all zu stark ist, mache ich mich auf den Morgen auf den Weg in Richtung „Point Diaz“. Dort, an der Spitze einer Halbinsel, hatte der portugiesische Entdecker „Bartolomeu Dias“ ein „Padrão“ – ein steinernes Kreuz – errichtet, als er im Juli des Jahres 1488 auf dem Rückweg von seiner Entdeckungsreise – auf dieser hatte er als erster Europäer den südlichsten Punkt Afrikas entdeckt – an der Landzunge vorbeikam. Neunzehn Kilometer sind von Lüderitz aus bis zu dem Kreuz – guter Hoffnung, dass irgendwann ein Auto vorbeikommen und mich mitnehmen würde, laufe ich los. Tatsächlich kommt bald ein Auto und nimmt mich einige Kilometer mit. Mitten im Nirgendwo an der schroffen Küste stehend, warte ich dann einige Zeit auf ein weiteres Auto, doch die Schotterpiste liegt einsam und verlassen da. Zum „Point Diaz“ laufen ist allerdings auch keine Option mit dem Rückweg wären das immerhin noch 30 Kilometer. Ich beschließe also das Kreuz ein Kreuz sein zu lassen, verbuche die fehlgeschlagenen Besichtigungsversuch als einen netten Spaziergang und laufe wieder zurück nach Lüderitz. Nachdem ich mich seit Wochen von Instant-Nudeln ernähre, wage ich es dort meine Kochkünste auf die Probe zu stellen und versuche mich an einem Instant-Pancake-Mix. Nichts, was mit Mamas Pfannkuchen mithalten könne, aber für die ersten Pfannkuchen seit einem halben Jahr trotzdem vollkommen zufriedenstellend. Am Abend ist es dann auch wieder einmal Zeit mit meiner Familie zu telefonieren – „das nächste Mal rufe ich aus Südafrika an!“
Mittwoch 30.10.2024 – Kolmanskop
Einige Kilometer außerhalb von Lüderitz liegt, verborgen in den Dünen, der kleine Ort Kolmanskop – oder besser gesagt: Seine Überreste. Denn der Ort, der einst einer der Reichsten auf der Erde war, ist heute verlassen und verfallen. Als man in den 1900ern in der Wüste Deutsch-Süd-West-Afrikas auf Diamanten stieß, wuchs die kleine inmitten der Wüste an einer Eisenbahnstrecke gelegene Siedlung schnell an und wurde zum Mittelpunkt des Diamantenbooms. Einige Jahrzehnte lang förderte man von den umliegenden Diamantenfelder aus – die zu den ertragsreichsten der Welt gehörten – Diamanten in Millionenwert – die Stadt wurde zu dem wohlhabendsten Ort in ganz Afrika. Mit dem Ende der Diamantenförderung wurde auch Kolmanskop verlassen und so zeugen heute nur noch unter dem Sand begrabene Ruinen von der einstigen Diamantenhauptstadt. Ein Pick-Up sammelt mich ein und bringt mich zum Eingangstor der heute als Museum zugänglichen Geisterstadt. Während einige Gebäude restauriert worden sind, nagt an den meisten weiterhin der Zahn der Zeit und die Natur erobert sich den Ort langsam aber sicher zurück. Teils bis unters Dach sind die alten Gebäude mit Sanddünen gefüllt. Das Sonnenlicht projiziert, durch die löchrigen Decken in die Baracken fallend, photogene Muster auf den Sand. Eine skurrile, irgendwie surreal wirkende Szenerie. Als ich gegen Mittag alle der verlassenen Gebäude erkundet habe, mache ich mich auf den Rückweg. An Touristen mangelt es in der Geisterstadt nicht und so ist es keine Schwierigkeit einen Lift zurück nach Lüderitz zu finden. Auch heute besteht noch die Chance rund um Kolmanskop Diamanten im Sand zu finden, weshalb ein Großteil der Wüste hier, im Süden Namibias, Speergebiet ist.
Donnerstag 31.10.2024 – Gefangenentransport
Der Besitzer des Hostels bietet mir am Morgen an, dass ich noch eine Nacht länger auf kosten des Hauses bleiben dürfe, doch ich will nicht. Meine Sachen sind bereits gepackt, es wäre Zeit Namibia den Rücken zu kehren und mich auf den Weg in Richtung Südafrika zu machen. Schnell finde ich jemanden, der mich mit aus Lüderitz raus nehmen kann. Eine knappe Stunden später steige ich an einer schmalen Teerstraße, unweit des Ortes Aus aus dem Geländewagen. Wie immer führen viele Wege nach Rom – beziehungsweise zur Grenze – und wie so oft, hatte ich mir nicht unbedingt den einfachsten ausgesucht. Eine Stunde lang kommt fast kein Auto an mir vorbei, ich habe innerlich gerade aufgegeben und laufe zurück zur großen Hauptstraße, da hält ein Polizeiauto neben mir. „Wo willst du hin?“ „Nach Rosh Pinah!” Die Beamtin öffnet die hintere Tür des Gefangenentransporters und lässt mich einsteigen. Zwei Stunden dauert die ruckelige Fahrt in der stickigen doppelt vergitterten Blechkabine. Von der Landschaft, die der eigentliche Grund war, warum ich mich für diese Route entschieden hatte, sehe ich durch die zugehangenen Gitterschlitze nichts. Heilsfroh auf freiem Fuß zu sein, steige ich in Rosh Pina aus der einzigartigen Mitfahrgelegenheit und stelle mich – nach einem kurzen Besuch im Supermarkt – wieder an die Straße. Der Aufbau des Pick-Ups auf dem ich die nächsten 150 Kilometer mitfahre, ist nicht vergittert und hat große Glasscheiben, die einen Blick auf die beeindruckende Landschaft gewähren. Immer parallel zur der Schotterpiste verläuft der die Grenze zwischen Namibia und Südafrika markierende Oranje-River durch die felsige Berglandschaft. Nach einer mir endlos vorkommenden Fahrt, wird die Landschaft schlagartig grün. Bis an den Horizont ziehen sich die schnurgeraden Reihen von Weinstöcken – das muss Aussenkehr sein. Der kleine zwischen den Weinbergen gelegene Ort besteht eigentlich nur auf einem Supermarkt und einem mit aus Wellblech und Bastmatten zusammengebastelten Behausungen gesäumten Slum. Während europäische Weinstöcke, meist der Weinproduktion dienen, werden hier Tafeltrauben – hauptsächlich für den europäischen und amerikanischen Markt – produziert, erklärt mir mein Mitfahrer. Inmitten des Feierabendverkehrs – die Arbeiter werden mit Shuttlebussen von den Weinbergen zurück in das Slum gekarrt – ergattere ich einen letzten Lift der mich bis kurz vor den Grenzübergang bringt. Zwischen den Bergen baue ich mein Zelt auf. Mein Abendessen besteht aus zwei Fertigdosen „Spagetti in Tomatensoße“ – nur hatte ich beim Einkaufen nicht bemerkt das es den Dosen an einer Lasche zum öffnen fehlt. Ich klettere also auf einen der Berge um Empfang zu bekommen, google wie ich den Dosenöffner an meinem Schweizer Taschenmesser verwende, und schaffe es dann tatsächlich voller Begeisterung die beiden Konservendosen zu öffnen. Was würde ich nur ohne das Internet tun?
Freitag 01.11.2024 – Welcome to South Africa
Als die ersten Sonnenstrahlen in mein Zelt fallen, packe ich meine Sachen zusammen und laufe zurück zur Straße. Schnell findet mich jemand, der mich die letzten zwanzig Kilometer bis zur südafrikanischen Grenze mitnehmen kann. In dem Shop einer kleinen Tankstelle verprasse ich mein letztes namibisches Kleingeld und setze mich danach in den Schatten einer Palme, um auch von meinem verbleibenden Datenvolumen noch gebrauch zu machen. Der Grenzübergang in Vioolsdrift ist einer der ruhigsten, die ich auf meiner Reise passiert habe – nur der inmitten des Dschungels zwischen Guinea-Bissau und Guinea war noch ruhiger. Keine fliegenden Händler, keine Fixer, keine Geldwechsler … nicht einmal aufdringliche Taxifahrer warten hier auf mich. Während ich meinen Ausreisestempel noch in meinen inzwischen fast vollen bisherigen Pass erhalte, lasse ich mir das Visum für Südafrika in meinen noch jungfräulichen zweiten Reisepass Stempeln. Da war ich nun … in Südafrika, dem – wenn alles nach Plan lief – letzten afrikanischen Land auf meiner Weltreise. 90 Tage dürfte ich hierbleiben, bis dahin müsste ich ein Boot gefunden haben, auf dem ich den afrikanischen Kontinent verlassen könnte. In dem winzigen Ort hinter der Grenze ist ebenso wenig los, wie am Grenzübergang. Fatal für mich, denn ich bin schließlich auf Verkehr angewiesen um hier wegzukommen. Eineinhalb Stunden warte ich im Schatten eines Straßenschildes, bis ein Lastwagenfahrer mich mitnimmt. Nach 100 Kilometern steige ich in der ersten größeren Stadt, Springbok, aus und decke mich dort in einem Supermarkt mit Lebensmitteln ein. Schlafen möchte ich heute Nacht bei einer kleinen Lodge dreißig Kilometer außerhalb von Springbok – doch dort hinzugelangen stellt sich noch als echte Herausforderung heraus. Während das Trampen in den vorherigen Ländern meist sehr gut geklappt hatte, liegt die Akzeptanz für Anhalter in Südafrika deutlich niedriger – an vielen Ort verbieten Schilder das Trampen sogar ganz. Obendrauf kommt, dass in Südafrika in der Regel eine Bezahlung für einen Lift – mag er noch so kurz sein – erwartet wird. Eine Stunde stehe ich an der Straße, bis jemand mich auf die andere Seite Springboks mitnimmt, wo ich weitere eineinhalb Stunden darauf warten muss, einen Lift für die letzten 20 Kilometer zu finden. Die Lodge ist dafür ein kleines Paradies: Kostengünstig darf ich mein Zelt auf der Terrasse des Wohnhaueses aufschlagen, es gibt WLAN, Strom, einen Pool – alles was das Herz begehrt.
Samstag 02.11.2024 – Himmel auf Erden
Den gesamten Vormittag über nutzte ich das – wenn auch nicht unbedingt schnelle – Internet um meine Bilder zu sichern. Die Kriminalitätsrate in Südafrika ist die fünfhöchste weltweit und einen Datenverlust möchte ich, falls man mir mein Handy klauen sollte, unbedingt vermeiden. Gleichzeitig gucke ich auf die Karte und überlege, welche weitere Route am sinnvollsten ist. Bleibe ich noch einen Tag hier, oder fahre ich heute schon weiter – das ist die wesentliche Frage. Als ich gegen Mittag auf der Karte einen gut gelegenen Campingplatz entdecke, der für Bikepacker kostenlos sein soll, beschließe ich – in der Hoffnung ebenfalls umsonst dort campen zu können – mich auf den Weg dorthin zu machen. In Anbetracht der bereits fortgeschrittenen Zeit, packe ich hektisch meine Sachen zusammen und stelle mich an die Straße. Nach einer halben Stunde bremst ein weißer VW Amarok, der die Hauptstraße entlanggeschossen kommt, ab. Der Fahrer, ein etwa 60 jähriger freundlicher Mann aus Windhoek, ist auf dem Weg nach Kapstadt. Sein Freund, dessen Auto bei einem Unfall in Kapstadt kaputtgegangen war, habe ihn heute Morgen angerufen. Aufgrund eines Hundes den er dabei habe, könne er nicht zurück fliegen und so entschied sich mein Fahrer kurzerhand 1500 Kilometer von Windhoek nach Kapstadt zu fahren, sein Freund abzuholen und die Strecke morgen wieder zurückzufahren – solche Freunde muss man haben! Ich steige allerdings schon nach 200 Kilometern in einem kleinen Ort aus und warte dort auf ein Auto, dass mich die letzten 30 Kilometer zu meinen Campingplatz mitnehmen könnte. Hundebellen ersetzt die Klingel, als ich mich dem Tor der etwas außerhalb von Vredendal gelegenen Farm nähere. Ein freundlicher Farmer öffnet mir das Tor und erkundigt sich mit welchem Fahrzeug ich unterwegs bin: „Mit keinem. Ich hierher getrampt.“ „Dann kennst du bestimmt Timo und Courtney?!“. Deon ist in der Overlanding-Community bestens vernetzt und weiß genau, wo welcher Radreisende gerade steckt. Neben einem Farmgebäude zeigt er mir den Unterstand unter dem ich mein Zelt aufschlagen könnte. Es gibt heiße Duschen, eine kleine Küche, eine Feuerstelle inklusive Holz, WLAN, Strom und sogar meine Wäsche könne ich hier Waschen. Nun verstand ich warum all die Kommentare vom „Himmel auf Erden“ sprachen. Dankbar schlage ich mein Lager auf …
Sonntag 03.11.2024 – Noch einmal gut gegangen
Beim Auspacken gestern Abend war kurz der Schock in mich gefahren – mein Laptop fehlte. Ich war schon dabei zu überlegen, wie ich am sinnvollsten heute wieder zurücktrampe, da schrieb mir die Besitzern der Lodge, bei der ich gestern genächtigt hatte, dass ihre Tochter hier in Vredendal zur Schule ginge und mir den Laptop heute Abend mitbringen könnte. Erleichterung auf der einen, Anspannung – Hoffentlich klappt das! – auf der anderen Seite. Bis dahin müsste ich nun ohne Laptop auskommen und so genieße ich das WLAN, das sich inzwischen als das schnellste seit über sechs Monaten herausgestellt hatte, erstmal nur auf dem Handy. Den Tag lasse ich ruhig angehen und genieße die Ruhe, die am Sonntag auf der Farm herrscht. Ab und zu kommt Deons 9-jähriger Sohn nach draußen und wir spielen gemeinsam eine Runde Ball – solange bis wir beide aus der Puste sind. Um 18.30 Uhr kommt dann endlich die Nachricht, dass mein Laptop nun im Ort sei. Deon fährt mich zur Highschool des Ortes, wo ich freudestrahlend mein Laptop entgegennehme – ein Stein fällt mir vom Herzen. Am Abend folgt noch der wöchentliche Familien-FaceTime-Call, bevor ich mich dann in mein Zelt verziehe.
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