Montag 09.06.2025 – Umleitung
Nachdem mein Plan Strecke zu machen die letzten zwei Tage – im wahrsten Sinne des Wortes – auf der Strecke geblieben war, hoffte Ich heute darauf ordentlich Kilometer zu schrubben. Doch am Morgen läuft das erstmal nicht so: Dreißig Kilometer hinter der Tankstelle, an der Ich stehe, befindet sich eine Kreuzung – die meisten LKW fahren dort ab. Nach anderthalb Stunden überzeuge Ich einen Lastwagenfahrer, mich zumindest bis zu dem Kreuzzug mitzunehmen – ein kluger Schachzug. Denn dort, steige Ich schon nach kurzer Wartezeit in das Auto zweier Frauen, die mich mit überhöhter Geschwindigkeit ins anderthalb Stunden entfernte Itaobim mitnehmen. Zu Fuß laufe Ich zum Ortsausgang und muss dort feststellen, dass die Straße halbseitig gesperrt ist – Ein Baustellenampel regelt den Verkehr. Zwei Stunden lang versuche Ich hinter der Sperrung mein Glück, doch kein Fahrer scheint gewillt nach der Verzögerung durch die Baustelle nun auch noch einen Tramper einzusammeln; zumal die Straßenbreite reduziert und der Platz zum Anhalten dadurch sehr begrenzt ist. Ein Orangenverkäufer bringt mich auf die Idee, dass Ich in der Warteschlange vor der Ampel vielleicht mehr Erfolg hätte – und tatsächlich: Nach dem fünften Ampelzyklus finde Ich jemanden der sich bereiterklärt mich mitzunehmen. Vorne in dem Lastwagen liegt eine aufgeschlagene Bibel. „Du bist Christ?“ frage Ich meinen Fahrer auf das Buch deutend, doch ein tieferes theologisches Gespräch lässt die Sprachbarriere leider nicht zu. Der dreiachsige Lastwagen ist schwer beladen und so tuckern wir mit unserem 60 Tonnen meist nur in der Schneckentempo die bergige Straße hoch. Als wir erst Sonnenuntergang auf einen Rastplatz fahren, haben wir „nur“ 300 Kilometer – nicht einmal zwei Städte weiter – geschafft. Dafür bietet mein Fahrer mir an, dass er mich morgen noch etwas weiter mitnehmen könne – um drei Uhr würde er losfahren. In dem Restaurant der Tankstelle gönne Ich mir noch ein preiswertes All-You-Can-Eat-Buffet, bevor Ich mein Zelt für die kurze Nacht auf einer Wiese aufschlage.
Dienstag 10.06.2025 – Goldminen
Um halb drei am Morgen klingelt mein Wecker. Im Halbschlaf packe Ich mein Zelt zusammen und laufe zu dem metallic-roten Mercedes-Truck, doch zu meiner Enttäuschung sind die Vorhänge der Fahrerkabine noch zugezogen – mein Fahrer scheint noch zu schlafen. Auch eine halbe Stunde nach der vereinbarten Abfahrtszeit, gibt es kein Lebenszeichen von meinem gestiegen Fahrer – enttäuscht stelle Ich in mich an der Ausfahrt der Tankstelle in den Lichtkegel einer Straßenlaterne und versuche mich am Trampen – wach war Ich nun schließlich sowieso. Um vier Uhr rollt auf einmal ein Lastwagen an eine der Zapfsäulen. Erst widme Ich dem LKW nur einen flüchtigen Blick, dann gucke Ich Ihn mir noch einmal genauer an – das ist meiner! Mit einem wortlosen Nicken begrüßt mich der Fahrer, Ich klettere auf den Beifahrersitz und wir fahren ins Dunkel. Nach 160 Kilometern lasse Ich mich kurz nach Sonnenaufgang an einer Tankstelle rausschmeißen, um von dort zwei Stunden Mathe-Abiturvorbereitung mit einer meiner Schülerinnen zu machen. Kaum habe ich meinen Laptop wieder zugeklappt, sitze Ich in einem weißen Chevrolet und rolle in Richtung Belo Horizonte. An einer kleinen Kreuzung steige Ich aus: Von hier sind es nur noch knappe hundert Kilometer bis an meinen Zielort Ouro Preto, allerdings auf einer winzigen Straße. Zuerst sammelt mich ein Müllwagen – mal wieder eine Bereicherung für die Liste meiner kuriosesten Mitfahrgelegenheiten – ein, im Anschluss nimmt mich eine ältere Dame mit. Ab dann wurde es schwierig: Ich befand mich nun mitten im Nirgendwo, in einem Gebiet in dem es – außer einigen großen Goldminen – nicht viel gibt. Stundenlang stehe Ich im rot-gold glitzernden Staub der Minentrucks. Hin und wieder nimmt mich einer für ein paar Kilometer bis zur nächsten Mine mit, doch wirklich voran komme Ich nicht. Es wird 14 Uhr, dann 15 Uhr und schließlich 16 Uhr. Die sehr raren Autos fahren ohne Beachtung an mir vorbei. Ich glaube nicht mehr hier weg zu kommen, als ein weißer Volkswagen Robust mit zwei sympathischen Männern darin anhält, die mir die erlösenden Mitfahrgelegenheit nach Ouro Preto anbieten. Als Ich in der historischen Stadt ankomme, geht gerade die Sonne unter. Müde mache Ich mich in den Kopfsteinpflasterstraßen auf die Suche nach meinem Hostel und falle dort früh ins Bett.
Mittwoch 11.06.2025 – Ouro Preto
Es ist bitterkalt, als Ich unter meiner Decke hervorkrieche. Fröstelnd krame Ich meinen Pullover und meine lange Hose aus dem untersten Teil meines Rucksacks. Die lange Hose hatte Ich zuletzt vor knappen elf Monaten in Benin gebraucht, weil in der nigerianischen Botschaft keine kurzen Hosen erlaub waren. Zu Fuß erkunde Ich die steilen Gassen Ouro Pretos. Einst das Zentrum des brasilianischen Goldrausches gewesen, ist die hügelige Altstadt heute voll von barocker Architektur und zählt zum UNESCO Weltkulturerbe – allein mehr als 20 kunstvoll gestalteter Kirchen findet man über die Stadt verteilt. Gegen Mittag kehre Ich in das kleine Hostel zurück und werde prompt von zwei Brasilianern zu einem Teller Feijoada, einem landestypischen Bohneneintopf mit Fleisch, eingeladen. Warst du schon bei den Goldminen fragt mich der eine. „Ja, gestern!“ schmunzle Ich „Ich habe zwar keine Tour gemacht, aber Ich denke Ich habe trotzdem ein ganz guter Eindruck von den Minen bekommen“ Am Nachmittag schalte Ich mich online zur „Männerzeit“ meiner Heimatgemeinde dazu und schaffe es im Anschluss gerade noch so eine auf einem Berg gelegene Kirche zu erreichen, bevor auch schon wieder die Sonne untergeht. Im Hostel wird zu Abend wieder gemeinsam gegessen – diesmal gibt es Suppe – wieder bin Ich eingeladen. Ich tippe noch etwas an meinem Blog, bevor Ich mich unter die warme Decke kuschle.
Donnerstag 12.06.2025 – Direção Rio
Auch heute ist es am Morgen eisig kalt. Heizungen gibt es in den meisten Häusern in Brasilien nicht. Doch nach eineinhalb Jahren, die Ich in den warmen Regionen unserer Erde verbracht hatte, freute Ich mich richtig nun mal wieder etwas zu frieren – zumal der Himmel strahlend blau war und die Sonnenstrahlen die Haut angenehm wärmten. Mit Pullover und Steppjacke bekleidet, schultere Ich meinen Rucksack und mache mich auf den Weg: Aus Ouro Preto rauszukommen, stellt sich als nicht sonderlich schwierig heraus. Innerhalb kürzester Zeit nimmt mich ein Kombi mit zu einer Kreuzung am Ortsausgang, wo Ich wenig später zu einem sympathischen älteren Fahrer in einen ebenso alten Koffer-LKW steige. Nach einer Stunde Fahrt durch eine schöne hügelige Landschaft erreichen wir die eine Ortschaft an der Autobahn. „Rio de Janeiro: 334 km“ weißt ein Schild in meine Richtung – erstmal muss Ich aber eine knappe Stunde zu einem geeignetem Tramp-Spot am Ortsausgang laufen. Schnell werde Ich dort von einem Ford-LKW mitgenommen, der mich einige Dutzend Kilometer später an einer menschenleeren Raststätte mitten in der Pampa rauswirft. Nachdem Ich eine Stunde vergeblich versucht habe dort wegzukommen, kehre ich zum Mittag in das dortige Restaurant ein und gebe eine Nachhilfestunde. Nach der Nachhilfestunde werde Ich abrupt mitgenommen und sitze den restlichen Nachmittag in einem modernen LKW, der mich Kilometer um Kilometer weiter in Richtung meines Zieles bringt. Zehn Minuten vor Sonnenuntergang hält er auf dem Standstreifen – Er würde gleich von der Autobahn abfahren. Noch bis das letzte Licht vollkommen verschwunden ist, versuche Ich einen Folgelift zu bekommen, doch bleibe erfolglos und muss mein Zelt schlussendlich an einem nahegelegenen Posto aufbauen.
Freitag 13.06.2025 – Rio de Janeiro
Aus meinem Zelt heraus gebe Ich am frühen Morgen eine Nachhilfestunde, bevor Ich jenes abbaue und mich mit ausgetrecktem Daumen an die Straße stelle. Mitten auf der Autobahn rast der Verkehr mit 120 Sachen an mir vorbei – ein eher suboptimaler Standort. Die nächste Abfahrt, an welcher Ich möglicherweise bessere Chancen hätte, ist ganze fünf Kilometer entfernt – angesichts mangelnder Alternativoptionen entscheide Ich mich dennoch dafür den Standstreifen entlang dorthin zu laufen. An jener Abfahrt steht zwar bereits ein Einheimischer, der sich ebenfalls einen „carona“ erhofft, doch weder Er noch Ich sollen Erfolg haben. Es ist inzwischen nach zwölf, Ich stehe seit dreieinhalb Stunden an der Straße und noch immer hat kein einziges Fahrzeug angehalten – Zeit in die Trickkiste zu greifen: Ich beginne wieder den Standstreifen entlangzulaufen und drehe mich, sobald sich im Augenwinkel ein vielversprechendes Fahrzeug nähert, um. Schon einige Male war es vorgekommen, dass Fahrer so dachten, Ich würde die Strecke laufen, und mich aus Mitleid mitnahmen. Ich bin keine hundert Meter weit gekommen, da hält tatsächlich ein Lieferwagen an und sammelt mich ein. In Petrópolis, dem letzten Ort vor dem Großraum Rio, steige Ich am Busterminal aus – ein von hier ins Zentrum von Rio fahrender Bus wäre günstiger, als das Taxi, welches Ich bezahlen müsste, wenn mein Fahrer mich irgendwo in einem der Randviertel Rios rausließe. Eine Stunde später stapfe Ich aus dem Busbahnhof „Novo Rio“ und beginne zu strahlen, als Ich winzig klein auf einem Berg am Horizont die Christusstatue entdecke – da war Ich nun: Rio de Janeiro! In meinem Hostel bin Ich – wie Ich das ständig schaffe, weiß Ich auch nicht – der einzige Gast. Vielleicht lag es daran, dass Ich wieder mal das Günstige vom Günstigsten gebucht hatte?! Den restlichen Nachmittag Ruhe Ich mich im Hostel aus und erkunde ein wenig das ziemlich untouristische Viertel, in dem Ich gelandet war. Bei meiner Erkundungstour laufe Ich unter anderem dem Sambadrom, dem Veranstaltungsort der weltbekannten Sambawettbewerbe des Karnevals von Rio, über den Weg – abseits des Karnevals besteht das allerdings nur aus ein paar einsamen Betontribünen.
Samstag 14.06.2025 – Copacabana
Auf meiner Tagesplanung stehen eigentlich ein Haufen nützliche Dinge, wie Wäsche waschen oder mein Zelt zum Trocknen aufhängen, doch das ist mir am Morgen egal – Ich bin in Rio de Janeiro! Und wo muss man da selbstverständlich zuallererst hin? Richtig, an die Copacabana! Mein fünf-Euro-Hostel liegt zwar nicht in Laufweite vom Strand, dafür aber direkt neben einer Metrostation, von welcher man für kleines Geld zu jedem beliebigen Ort in der Metropole fahren kann. An Rios weltberühmten Strand tummeln sich die Touristen. Große Hochhäuser und Luxus-Hotels säumen die breite Promenadenstraße. Nachdem Ich mich am Strand sattgesehen habe, mache Ich mich auf dem Weg zu einer weiteren Top-Attraktion Rios – dem Zuckerhut. Neben der zur Spitze führenden Seilbahn – die absurd teuer ist – gibt es die Möglichkeit über eine „Rock-Climbing“ Route den Gipfel des Berges zu erreichen. Anfangs folge Ich der Route optimistisch, doch je weiter Ich komme, desto mehr befürchte Ich, dass man ab einem gewissen Punkt tatsächlich richtige Kletterausrüstung braucht und so beschließe Ich umzudrehen und stattdessen nur auf den „Morro da Urca“, einen Berg neben direkt neben dem Zuckerhut zu steigen, auf welchen ein anspruchsloser Wanderweg hinaufführt. Auf dessen Spitze vergnüge Ich mich mit den kleinen Weißbüscheläffchen, die überall herumlaufen, bis Ich kurz vor Sonnenuntergang wieder hinabsteige. Auf dem Rückweg gönne Ich mir noch einen Becher Açaí, bevor Ich in die Metro nach Hause steige …
Sonntag 15.06.2025 – Gottesdienst im ICF
Noch länger kann Ich mit dem Wäsche waschen nicht warten – also geht es am Vormittag für mich erst einmal in einen der zahlreichen Waschsalons, wo Ich geduldig auf frische Klamotten warte. Gegen Mittag telefoniere Ich dann mit meiner Familie, bevor Ich mich auf den Weg zum ICF mache. Während Ich schon unzählige Hillsong-Churchs besucht hatte, war Rio de Janeiro die erste Stadt auf meiner Reise in der es ein ICF (International Christian Fellowship) gab – das wollte ich mir auf jeden Fall angucken. Die Kirche liegt allerdings nicht im Zentrum von Rio, sondern auf der anderen Flussseite der Stadt – den Weg wäre es mir allerdings wert. Ich kann mich also nicht auf meine U-Bahn verlassen, sondern muss einen Bus nehmen – der gesamte Nahverkehr Rios wird glücklicherweise in Google Maps angezeigt, was das Ganze kinderleicht macht. Eiskalt fährt der erste Busfahrer an mir vorbei, obwohl Ich zur richtigen Zeit an der richtigen Haltestelle stehe. Mit dem nächsten Bus überquere Ich die dreizehn Kilometer lange „President Costa e Silva“-Brücke und komme und komme immerhin noch fünf Minuten vor Start des Gottesdienstes am ICF an. Der Saal der Kirche ist klein – dicht an dicht hat man etwa 100 Stühle in ihn hineingequetscht. Heute habe man zum ersten Mal einen zusätzlichen, dritten Gottesdienst am Morgen gehabt, um dem wachsenden Andrang gerecht zu werden, erklärt mir Bruno, der Pastor der Gemeinde, welcher dadurch, dass er fünf Jahre in München studiert hat, fließend Deutsch spricht. Der Gottesdienst ist modern, besteht aus viel Lobpreis und einen lebensnahmen Predigt, welche per Telefon für mich auf Englisch übersetzt wird. Im Anschluss an den Gottesdienst lädt Bruno mich ein, noch für die nächste „Celebration“ zu bleiben – danach würde man noch gemeinsam etwas essen gehen – doch in Anbetracht meines langen Heimwegs mache, Ich mich lieber auf den Rückweg.
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