Montag 11.11.2024 – Wassersport-Mekka
Rua hat sein Nachtlager bereits abgebaut, als ich aus meinem Zelt krabble. Er würde nun weiter laufen – noch etwa zwei bis drei Tagesetappen dürften es bis nach Kapstadt sein. Als wir uns verabschieden drückt er mir noch einen Zettel mit drei Telefonnummern darauf in die Hand und bittet mich, diese über seinen aktuellen Fortschritt informieren. Ich hatte mich nämlich – so cool die Idee, das letzte Stück meiner Afrika Etappe zu Fuß zu laufen, im ersten Moment geklungen hatte – entschieden, die für die verbleibenden 100 Kilometer bis Kapstadt wieder aufs Trampen umzusteigen. Doch erstmal würde noch einen Tag in Langebaan entspannen. Der kleine an einer Lagune gelegene Küstenort gilt als „Wassersport-Mekka“ und zieht hunderte Surfer und Paddler an. Beim einem Spaziergang entlang der Promenade stelle ich fest, warum das kein Wunder ist. Scheinbar endlos lange Strände aus feinstem weißem Sand treffen auf türkisblau schimmerndes glasklares Wasser. An der Promenade grenzt ein kleines weißes Ferienapartment an das Nächste. Liebend gerne hätte ich heute in einer der unzähligen Surfschulen etwas Surfunterricht genommen, doch mein einer Fuß hat den Marsch in den letzten Tagen nicht so gut überstanden, ist angeschwollen und schmerzt – nicht die beste Voraussetzung für Wassersport. In einem am Strand gelegenen Restaurant, in dem ich mich zum Mittag niederlasse, treffe ich auf einen älteren deutschen Tourist, der gerade an seinem Handy verzweifelt. Um Zugang zu seinem Mailaccount zu bekommen, muss er seine Telefonnummer bestätigen – die hat allerdings in Südafrika kein Netz. Freudestrahlend blickt der Rentner, nachdem ich ihm mit meinem Handy ausgeholfen habe, auf die 153 ungelesenen Mails in seinem Posteingang. Wie man sich im Urlaub über so etwas freuen kann, verstehe ich nicht – Ich freue mich immer, wenn mein Posteingang leer ist! Kopfschüttelnd laufe ich den Stand entlang zurück zu meinen Campingplatz, wo ich mir einen ruhigen Nachmittag mache, bevor ich am Abend noch zwei Nachhilfestunden gebe.
Dienstag 12.11.2024 – Ich hab’s geschafft!
Heute wäre es soweit – nach 299 Tagen auf dem afrikanischen Kontinent würde ich den Zielort meiner Afrika-Durchquerung erreichen: Kapstadt. Euphorisch packe ich meine Sachen zusammen und mache mich auf den Weg zum Ortsausgang. Ich stehe gerade einmal zehn Minuten an der Straße, da dreht ein Auto, dass gerade an mir vorbeigefahren war, um und hält neben mir an. „Wo willst du hin?“ „Nach Kapstadt.“ „Dann kannst du mit uns kommen.“ Henry und sein Kollege arbeiten für eine IT-Firma und sind auf dem Weg zu einer Messe. Der junge sympathische Mann, versorgt mich nicht nur mit Getränken, sondern bietet mir sogar an, mich an meiner Wunschadresse abzuliefern. Bereits um halb Elf stehe ich vor dem Haus von Toni und Monika, den in Kapstadt lebenden Schwiegereltern von Matthias, bei denen ich vorerst unterkommen könnte. Hier anzukommen fühlt sich irgendwie surreal an. Vor etwas über einem Jahr – ich war gerade von meiner Interrail-Reise zurückgekehrt und stand in den Startlöchern meiner Weltreise – waren Monika und Toni zu Besuch in Deutschland gewesen. Damals klang es fast noch wie ein Scherz als ich sagte „In einem Jahr komm ich euch in Kapstadt besuchen“ und nun hatte ich das scheinbar Unmögliche geschafft. Ich hatte den afrikanischen Kontinent von seinem nördlichen Ende bis hin zu seiner südlichen Spitze durchquert; ich hatte es ohne ein Flugzeug zu nutzen und ohne Startkapital von Deutschland aus bis in die am Kap der Guten Hoffnung gelegene Metropole geschafft. Neben der Freude ist aber auch Respekt dabei, denn vor mir liegt nun der Atlantik und damit die nächste riesige Herausforderung. Heute soll mich die allerdings noch nicht beschäftigen – erstmal möchte ich mich in Ruhe ankommen!
Mittwoch 13.11.2024 – Wenn ich in Kapstadt bin …
Viele Dinge habe ich im Laufe der letzten Monate auf den Zeitpunkt „Das mache ich, wenn ich in Kapstadt bin“ aufgeschoben – blöd nur, dass dieser Zeitpunkt nun gekommen war. Am Vormittag setzt mich Toni in einer Shoppingmall ab. Neben Flicken für mein Zelt müsste ich mich vor allem nach neuen Schuhen umschauen. Seit Jahren trage ich ein und dasselbe Modell Schuhe: Die „Adidas Ultraboost 22“. Bereits fünf Paare dieses Schuhmodells habe ich im Laufe der letzten Jahre verschlissen. Doch nun wird das Modell nicht mehr hergestellt; alle Restbestände sind ausverkauft und so muss ich mich – wohl oder übel – auf die Suche nach neuem Schuhwerk machen. Gar nicht so einfach, wenn man auf der einen Seite begrenzte Budgetvorstellungen hat und gleichzeitig weiß, dass man in diesem Schuhpaar einige tausend Kilometer laufen würde. Als ich dem Personal in einem der Schuhgeschäfte erzähle, warum meine Schuhe so aussehen, wie sie eben aussehen, darf ich erstmal ein paar Selfies mit den Angestellten machen – auf das Sponsoring-Angebot warte ich aber vergeblich und auch passende Schuhe finde ich nicht. Den Nachmittag verbringe ich am Laptop, schreibe meinen Blog und erledige einige organisatorischen Dinge.
Donnerstag 14.11.2024 – Schweizer Käse
Eine morgendliche Erfrischung im Pool motiviert mich die Punkte meiner ToDo-Liste anzupacken, zu denen ich gestern nicht gekommen war. Nachdem ich die Löcher im Rainfly – der vor Regen schützenden Plane – meines Zeltes bereit mehre Monate ignoriert habe, muss ich mich auch diesem Problem hier in Kapstadt widmen. Flicken hatte ich ja gestern bereits besorgt, nun müssten diese nur noch besser halten, als die „Nett hier“-Sticker mit denen ich das Zelt zuletzt zu flicken versucht hatte. Zu aller erst muss das Zelt aber einmal gereinigt werden. Mit einem Lappen und Waser befreie ich das Zelt vom noch daran haftenden Wüstenstaub. „Rttsch“ – einmal etwas zu fest gedrückt und schon ist aus einem der kleinen Löcher in dem hauchdünnen durch die UV-Strahlung der afrikanischen Sonne spröde gewordenen Ultralight-Material ein klaffender Riss geworden. Mist! Die Utopie des Flickens ist damit erstmal wieder verworfen und die Angelegenheit wird ins Administrative verlagert: Mailadresse des Shops und Rechnung rausuchen, Reklamation und Garantieanfrage schreiben. Leider weiß ich von dem Support des Shops schon, dass er nicht all zu hilfsbereit ist – und selbst er das wäre, würde er neues Rainfly höchstens nach Deutschland und definitiv nicht nach Südafrika schicken. Am späten Nachmittag gebe ich eine Nachhilfestunde, bevor wir dann einen Braai machen – der darf in Südafrika einfach nicht fehlen.
Freitag 15.11.2024 – Waterfront
Nachdem ich nun schon zweieinhalb Tage in Panorama, dem Außenbezirk von Kapstadt, in dem Toni und Monika wohnen, verbracht hatte, ist es an der Zeit mich ein erstes Mal auf den Weg ins Stadtinnere zu machen. Will man in Kapstadt ohne eigenes Fahrzeug von A nach B kommen, so ist eigentlich ein „Uber“ das Standart-Fortbewegungsmittel. Bei täglicher Nutzung macht sich das Privattaxi allerdings schnell im Portemonnaie bemerkbar – ich probiere heute Morgen also aus, ob man auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln ins Stadtinnere kommen könnte. Einen guten ersten Eindruck macht der Bus nicht: Auch zehn Minuten nach der planmäßigen Abfahrtszeit fehlt von dem Bus jede Spur – das geht ja gut los! Eine halbe Stunde dauert es, bis der Bus dann doch noch auftaucht und mich ins Stadtzentrum bringt. Dort angekommen laufe ich als Erstes in die Waterfront – einen mit Shoppingmalls und Restaurants gefüllten Stadtteil Kapstadts. Ganz ehrlich, nach Afrika fühlt es hier ganz und gar nicht an! Eine Geschäft grenzt and das Nächste, dazwischen ein Paar Luxus-Katamarane, die Pinguin-Watching-Touren anbieten und ein Helipad, von dem aus Touristen für etwas Kleingeld einen Helikopter-Rundflug über die Kap-Halbinsel machen können. Hinter den Glasfassanden der Hochhäuser ragt der markante Tafelberg in die Höhe. Meinem Besuch in diesem Viertel liegt allerdings nicht die Sehnsucht nach Massentourismus zugrunde, sondern eine Lieferung, die ich hier entgegennehmen kann. Eine Mitarbeiterin meines Vaters, war gerade nach Kapstadt in den Urlaub geflogen und hatte mir einige Dinge aus Deutschland mitgebracht. Eine neue TSCE-Basecap, meinen zweiten Pullover, einen neuer Rasierer und einen Adventskalender mit Lübecker Marzipan (Danke Mama!☺). Gegen Mittag mache ich mich dann auf den Weg in Richtung Hafen – Ich möchte mir einen ersten Eindruck vom „Royal Cape Yachts Club“, dem Ausgangshafen der meisten Atlantiküberquerungen machen, und dort meine Bootsgesuch-Notiz an das schwarze Brett hängen. Während man in den Hafen sehr einfach reinkommt, muss ich den Security-Angestellten des Yachtclubs regelrecht überzeugen, mir das Tor zu öffnen und mich einem der Manager vorzustellen. Der wiederum führt mich in das Clubgebäude, wo er feststellt, das es gar kein Schwarzes Brett mehr gibt. Das Noticeboard gebe es seit Neustem nur noch online, klärt uns die Rezeptionistin auf und schickt mich dann wieder raus. Uff! … hier nach Booten zu suchen dürfte alles andere als einfach werden. Etwas eingeknickt mache ich mich aus den Rückweg zum Busterminal und steige in den – diesmal sogar pünktlichen – Bus.
Samstag 16.11.2024 – Hout Bay
Im Yachthafen von Kapstadt nach einem Boot suchen zu können, hatte ich nach meinem gestiegen Erlebnis innerlich abgeschrieben. Zum Glück ist der Hafen nicht der Einzige in der Region: In Hout Bay – etwas außerhalb von Kapstadt – gibt es ebenfalls einen Segelclub und einen Hafen, der in dem Tramperlexikon „hitchwiki“ für das Segelboot-Trampen über den Atlantik empfohlen wird. Gemeinsam mit Toni und Monika, mache ich mich also auf den Weg dorthin. Grüne Berge umgeben die mit tiefblauem Wasser gefüllt Bucht, an der der kleine Fischer und Touristenort liegt. Allein schon die Szenerie wäre ein Grund meine Suche hierher zu verlagern. In dem Gebäude des Segelclubs herrscht Stille, die Türen stehen allerdings offen. Zügig mache ich in dem Clubhaus zwei Pinnwände ausfindig, an denen ich mein Bootsgesuch aufhänge – an einer hängt bereits ein weiteres Gesuch. Auch der Hafen wirkt wesentlich entspannter als in Kapstadt. Ein Seelöwe taucht durch das glasklare Wasser und freut sich an den Abfällen der Fischer. Die zu den Bootsstegen führende Tür steht offen und während wir davorstehen, kommt ein Segler vorbei, fragt uns ob wir rein wollen und hält einen kurzen Plausch mit uns. Meine Zuversicht ist wieder zurück! – hier schien es ein Kinderspiel zu sein Kontakte zu knüpfen. „Hier gefällts mir!“ schwärme ich von meiner Begeisterung und erhalte prompt ein „Das kann ich verstehen“ als Antwort von einer neben ihrem Auto stehenden älteren Dame. Sofort erkennt Monika die Frau, die sich als ehemalige Lehrerin an der deutschen Schule in Kapstadt entpuppt. Und es kommt noch besser: Ihr Sohn besitze eine Agentur, die Crew an Yachten vermittelt, und ist in der Szene wohl bestens vernetzt. Wow! In einem „Fish&Chips“-Imbiss essen wir zu Mittag. Die ältere Dame hatte uns noch einen Tipp gegeben: Auf der anderen Seite der Bucht sei im Moment eine Delfinschule. Tatsächlich können wir die Delfine auf dem Rückweg beobachten. Der Rückweg hat es so oder so nochmal in sich. Die schmale kurvige Straße führt zwischen den Bergen und der Küste entlang. Eine Felsige Küstenlandschaft trifft auf den endlos wirkenden Atlantik, dessen Wasser in Küstennähe türkisblau schimmert. Ein kleiner Traumstrand reiht sich an den Nächsten – Ich kann mich gar nicht sattsehen. Eins steht fest: Hier wäre ich nicht das letzte Mal gewesen!
Sonntag 17.11.2024 – Zahme Eichhörnchen
Nach einem gemütlichen Sonntagsfrühstück auf der Terrasse, machen wir uns auf den Weg zum Gottesdienst. Die Deutsche Stadtmission könnte kaum eine schönere Lage haben – das unscheinbare Gemeinschaftshaus liegt im Zentrum Kapstadts direkt am Fuße des Tafelberges. Der Gottesdienst vermittelt – wie auch schon in den Stadtmissionen in Namibia – einen heimischen Charakter. Für Kaffee und Kuchen nach dem Gottesdienst ist die auf den Tafelberg blickende Terrasse natürlich prädestiniert. Zurück zuhause streame ich als Anschlussprogramm erst den Gottesdienst des ICF Hamburg und setzte mich dann nach draußen. Sitzt man bei Toni und Monika auf der Terrasse, so ist man selten alleine – insgesamt drei Eichhörnchen sind Stammgäste im Garten. Die von Monika mit Erdnüssen versorgten Tiere sind dabei so zutraulich, dass sie sich manchmal sogar durch die Terassentür schmuggeln und sich im Wohnzimmer verirren. Oft kommt, wenn man draußen sitzt, eines der Eichhörnchen bis auf die Terrasse und guckt einen Mitleid erregend an, bis es dann – wenn Monika aufsteht, um Nüsse zu holen – in einem Wahnsinnstempo zu dem Fester hopst, aus dem heraus sie die Erdnüsse auf den Rasen wirft. Noch nie in meinem Leben habe ich ein so zahmes Eichhörnchen gesehen! Am Abend telefoniere ich – wie jeden Sonntag – mit meiner Familie …
Wie schön das du die erste grosse Etappe geschafft hast und uns immer ein bisschen mitnimmst. Heute hast du mir mit dem Bericht die Wartezeit am Flughafen verkürzt. Wann ich wohl ankäme, wenn ich nicht fliegen würde? Vermutlich würde ich eher hier bleiben als los zu gehen. Drück dir die Daumen dass du ein gutes Boot findest, das dich sicher übers Wasser bringt. LG Karen