Montag 08.09.2025
Einen weiteren Tag verbringe ich in der „Casa de Ciclistas“, genieße das schnelle Internet und die wohlige Wärme des Holzofens, der direkt neben meinem Bett steht. Ich entspanne mich, lese viel, schreibe meinen Blog weiter und arbeite an einem Webentwicklungs-Auftrag. Wirklich viel anderes kann man in Villa Mañihuales auch nicht machen. Der winzige Ort besteht nur aus wenigen Straßen, zwei Minimärkten und der an ihm vorbeiführenden Carreta Austral. Nicht einmal Trails, die von hier zu den umliegenden Bergen führen, gibt es und so bleibt mir, als ich am Nachmittag spazieren gehen will, nichts anderes übrig, als die Hauptstraße entlangzulaufen.
Dienstag 09.09.2025
Der Himmel ist grau, es nieselt ein wenig. Entsprechend schwer fällt es mir die warme Unterkunft am Morgen zu verlassen und mich der Witterung ausgesetzt ans Trampen zu machen. Schon nach wenigen Minuten hält ein junger Mann an und nimmt mich einige Kilometer mit, bis zu einer Kreuzung. Dort warte ich eine ganze Weile, bis schließlich ein älteres Pärchen, das mit einem vollbeladenen Pick-Up älteren Baujahres auf den Weg nach Puyuhuapi ist, mir anbietet, dass ich mich auf die Rückbank quetschen könne. In dem an einem Fjord gelegenen Puyuhuapi angekommen stöbere ich erstmal einen Minimarkt auf. Während die Auswahl und Preisgestaltung in den Kaufmannsläden im chilenischen Patagonien alles andere als erwähnenswert sind, gibt es ein Produkt, das ich hier zu schätzen gelernt habe: Marmelade. Oftmals aus lokalen Früchten hergestellt, gibt es eine hier Vielfalt günstiger Fruchtmarmeladen – gemeinsam mit „Hallunas“, hier typischen, runden, flachen Broten mit einer weichen, leicht süßen Textur, machen sich diese perfekt zu einem späten Zweitfrühstück. Nach einer Dreiviertelstunde, die ich in einem Bushäuschen gewartet hatte, gibt mir ein junger, gutes Englisch sprechender Mann einen Lift nach La Junta. Noch immer nieselt es vor sich hin und so kann ich nicht ablehnen, als mein Fahrer mir anbietet, dass ich auf dem Campingplatz neben der von ihm betriebenen Lodge mein Zelt unter einem Blechüberstand aufstellen könnte – kostenlos. Der Campingplatz ist ein Schatten seiner selbst: Alles ist modrig, das Gras hochgewachsen, unter der genannten Überdachung liegt Müll – hier hat wohl länger niemand mehr gecampt. Mittendrin steht ein nigelnagelneues Haus mit drei Duschen – die sind allerdings so neu, dass man sie noch nicht ans Wasser angeschlossen hatte. Haferflocken mit Milch löffelnd höre ich den rhythmisch auf das Wellblech tropfenden Regen zu und verkrieche mich schon früh in meinem Zelt.
Mittwoch 10.09.2025
Noch immer regnet es. Zudem grummelt mein Magen – die gestrige Milch schien, wie so oft bei Milch aus den kleinen Tante-Emma-Läden Südamerikas, nicht mehr ganz frisch gewesen zu sein. Leider sind die Toiletten in einem ähnlich rustikalen Zustand wie der Rest der Anlage: Der Boden mit Moos bewachsen, das Dach über ihnen halb eingestürzt, die Spülung geht nicht und nach Klopapier muss man gar nicht erst suchen. Wirklich motiviert weiterzuziehen bin ich nicht, doch einen weiteren Tag auf diesem ranzigen Campingplatz bleiben möchte ich auch nicht – ich raffe mich also auf, packe meinen Rucksack und stelle mich an den Ortsausgang. Es dauert mehr als eine Stunde, bis endlich ein SUV mit einem älteren Herrn darin anhält. Er fahre nur knappe 30 Kilometer ins nächste Dorf, doch das ist mir nach der langen Wartezeit egal – ich wollte vorwärtskommen, wenn auch nur ein wenig! In dem winzigen Drei-Häuser-Dorf gibt es ein Buswartehäuschen, so muss ich zumindest nicht mehr im Regen stehen – mehr Verkehr kommt aber auch hier nicht vorbei. Um vierzehn Uhr will ich an einem Videoanruf teilnehmen, je weiter die Zeit voranschreitet, desto unrealistischer wird es, dass ich mein Ziel, die noch 100 Kilometer entfernte Stadt Chaitén, rechtzeitig erreiche. Als mich schließlich ein Lastwagen einsammelt, fahre ich mit diesem nur bis ins nächstgrößere Dorf, in der Hoffnung dort Internet für den Videoanruf zu finden. Doch das Café, von dem ich gehört hatte, dass es gutes Internet habe, ist geschlossen und auch sonst lässt sich in dem Dorf nirgendwo WLAN auftreiben. Mehr als drei Stunden stecke ich im Anschluss in der kleinen Ortschaft fest und bin ohne den Schutz meines Haltestellenhäuschens bald bis auf die Unterwäsche durchnässt. Ich habe innerlich schon aufgegeben hier heute überhaupt noch wegzukommen, als mich am späten Nachmittag ein grüner LKW, der Rinder geladen hat, aufgabelt und mit nach Chaitén nimmt. Dort schlage ich mein Zelt auf einem Campingplatz auf, genieße die erste heiße Dusche seit 10 Tagen und krabble erschöpft in meinen warmen Schlafsack.
Donnerstag 11.09.2025
Früh klingelt mein Wecker, ich erledige kurz noch etwas am Laptop, dann baue ich mein Zelt ab und laufe an den Ortsausgang von Chaitén. Etwa eine Stunde nördlich der Stadt ist die Carreta Austral für ein 100 Kilometer langes Stück unterbrochen – dort geht es nur mit einer Fähre weiter. Der LKW-Fahrer, der mich gestern mit hierher genommen hatte, hatte mir versprochen, dass er mich, wenn ich um neun an der Straße stünde, weiter mitnehmen könne. Eigentlich müsste ich für die Fähre noch ein Ticket kaufen, doch es gibt mehrere Reedereien, die auf der Strecke fahren, und weder weiß ich, welche der Fähren mein Fahrer nimmt, noch hat das Ticketbüro offen. Ich musste also darauf hoffen, dass ich entweder auf der Fähre noch ein Ticket erwerben könne oder man mich ohne Ticket mitnahm. Während ich am Ortsausgang warte, überlege ich vielleicht noch eine Nacht hierzubleiben. Rund um die Stadt gäbe es eine Handvoll Vulkane und einen Wasserfall zu denen man hinwandern könne. Gegen halb zehn, kommt dann der grüne Lastwagen, in dem ich gestern mitgefahren war, die Straße hinabgrollt, begrüßt mich mit einer Lichthupe und nimmt mir meine Entscheidung ab. Auf einer ungeteerten, durch dichten Dschungel führenden Straße geht es zum Fährterminal. Dort müssen wir anderthalb Stunden warten – ich erkunde so lange einen auf Holzstegen durch das Dickicht führenden Pfad. Die Fährfahrt dauert knappe fünf Stunden. Wenn ich nicht gerade die an uns vorbeiziehenden Fjordlandschaften beobachte, nutze ich die Zeit, um ein wenig an meinem Blog zu schreiben. In Hornopirén, dem Endpunkt der Fähre, sind es noch drei weitere Stunden Autofahrt und eine weitere kurze Fährfahrt, bis wir am späten Abend schließlich unser Ziel erreichen: Puerto Montt. Auf meine Bitte lässt man mich an einer großen Tankstelle im Industriegebiet der Stadt raus. In dem Shop der Tankstelle kaufe ich mir – überrascht, diese hier zu finden – eine kleine „Ritter Sport“-Schokolade und frage dann die Mitarbeiterin, ob ich mein Zelt auf der kleinen Grasfläche hinter dem Gebäude aufschlagen dürfe.
Freitag 12.09.2025
Puerto Montt – hier endeten die Carreta Austral und Patagonien. Große Städte, gut ausgebaute Straßen – ich war zurück in der Zivilisation! Für die verbleibenden knapp 1000 Kilometer bis nach Santiago, ginge es nun auf der Panamericana weiter. Doch bevor ich mich an die Straße stelle, will ich erstmal einen vernünftigen Supermarkt besuchen, die letzten Wochen hatte ich nämlich nur in kleinen, an Tante-Emma-Läden erinnernden „Minimercados“ einkaufen können. Das blau-gelbe Logo des gigantischen „Lider“-Supermarktes kommt mir bekannt vor. Als ich auf die Rückseite einiger Produkte gucke, weiß ich auch woher: Lider ist der chilenische Ableger der US-amerikanischen Hypermarkt-Kette „Walmart“. Nicht nur bietet der große Supermarkt eine gar erschlagende Auswahl an Produkten, auch scheint der patagonische Preis-Wahnsinn nun endlich ein Ende zu haben. Mit Vorräten versorgt positioniere ich mich an einer Autobahnauffahrt – unmittelbar hält ein Bus an. Verzweifelt versuche ich dem Fahrer zu erklären, dass ich Trampen wolle, doch man besteht darauf, dass ich einsteige. Als man durch die Reihen geht, um den Fahrtpreis zu kassieren überspringt man mich, nach 40 Kilometern lässt man mich dann an einer perfekt zu Trampen geeigneten Stelle raus. Wenig später sitze ich auf dem Beifahrersitz eines kleinen, hellblauen Koffer-LKWs, der auf dem Weg in das 600 Kilometer entfernte Chillán ist. Bei einem Tankstopp fällt mir auf, dass das Kennzeichen des Kleinlastwagens mit den Buchstaben „RD“ beginnt – witzig, genau wie in meiner Heimatstadt! Nach mehr als sieben Stunden Fahrt steige ich am frühen Abend an einer Abfahrt aus. Zu Fuß laufe ich fünf Kilometer zur nächsten Raststätte, koche mir dort etwas zum Abendessen und schlage dann mein Zelt hinter der Tankstelle auf.
Samstag 13.09.2025
Als ich am Morgen aufwache, liege ich in einer Pfütze – meine Isomatte war zur Schwimmmatratze geworden! Seit den frühen Morgenstunden hatte es durchgehend geregnet. Zwar war mein Zelt von oben dicht, doch stehendem Wasser von unten hielt es inzwischen nicht mehr stand. Angeekelt packe ich die klitschnassen Planen in meinen Rucksack und stelle mich dann an die Ausfahrt der Raststätte. Noch immer nieselt es ein wenig und so bin ich froh, dass mich nach nur zehn Minuten ein Lastwagenfahrer einsammelt. Knappe 100 Kilometer später lässt man mich an einer Abfahrt raus. Von jener laufe ich zur nächstbesten Tankstelle, kaufe mir eine überteuerte Packung Kekse zum Frühstück und positioniere mich dann erneut an der Tankstellenausfahrt. Auch hier muss ich keine Viertelstunde warten, bis mich ein älterer Mann in einem Mitsubishi Pickup mitnimmt. Mehr als drei Stunden sitzen wir gemeinsam im Auto und fahren auf der Autobahn Santiago de Chile entgegen, wo man mich am äußersten Standrand an einer Metro-Station herauslässt. Bevor ich aber in die Metro steige entledige ich mich erstmal meines Pullovers und meiner Jacke – es sind fast 20 °C bei strahlend blauem Himmel. Online buche ich mir ein Hostel und stelle erleichtert fest, dass diese hier gar nicht so teuer sind. Als ich vor einigen Wochen schon einmal nach den Hostel-Preisen in Santiago recherchiert hatte, kostete die günstige Unterkunft mehr als 15€ – heute gab es auf einmal auch im „unter 10€“-Preissegment eine vielfältige Auswahl. Eine Stunde später komme ich aus der Metro Station im Stadtzentrum und mache mich auf den direkten Weg zu meinen Hostel. Schwitzend entledige ich mich nun auch meiner langen Hose, der Thermounterwäsche, die ich darunter trug, und meiner Wanderstiefeln – Wer hätte zu Beginn der Woche gedacht, dass ich nur eine Handvoll Tage später in T-Shirt und kurzer Hose herumlaufen könne? Das Hostel ist riesig und liebevoll gestaltet, gibt unzählige Gemeinschaftsbereiche, in allem Zimmer sind nur ein oder zwei Betten belegt – ein willkommener Kontrast zu den Bettenhochburgen, die man sonst in manchen Metropolen findet. Ich hänge mein Zelt in einem der Innenhöfe zum Trocknen auf, gehe in einem nahegelegenen Supermarkt das Nötigste einkaufen und falle dann erschöpft von den vergangenen zwei Wochen ins Bett.
Sonntag 14.09.2025
Den Vormittag über laufe ich ein wenig durch Santiago, um einen ersten Eindruck der Stadt zu gewinnen. Es ist sommerlich warm, der Himmel blau – perfektes Frühlingswetter! Schnell mache ich den lebendigen Teil der Stadt ausfindig: Überall stehen Straßenhändler und verkaufen Getränke, Elektronik oder grillen auf einem alten Einkaufswagen Hähnchen. Dem Trubel folgend gelange ich zum Vega-Markt, den zentralen Handelsplatz, der Stadt. Obsthändler preisen ihre Ware an, Menschen feilschen um Preise – das war es, was ich vermisst hatte. So schön Patagonien war, die Städte waren wie leergefegt gewesen, man musste auf den Straßen förmlich nach Menschen suchen. Hier herrschte wieder Leben, der chaotische Trubel, der die Länder des globalen Südens ausmachte. Mit einem Lächeln auf meinen Lippen stöbere ich durch den Trubel und probiere mich entlang der verschiedenen Street-Food-Händler. Am Nachmittag setze ich mich ins Hostel, um den nächsten Blogpost fertigzustellen, doch ich komme nicht dazu. Ständig verwickle ich mich in Gespräche mit einigen anderen Reisenden: Eine deutsche Backpackerin wechselt zu mir ins Zimmer, zwei junge Österreicher, die sich hier ein Auto kaufen und damit ein halbes Jahr durch Südamerika fahren wollten, setzen sich zu mir an den Tisch – keine Chance, mich da auf meinen Blog zu konzentrieren. Am Abend gibt es ein kostenloses BBQ, ich lerne noch mehr Deutsche kennen – das Hostel scheint voll davon zu sein – und spiele ein paar Runden Billard.
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